Fuchsjagd
zwischen Ihnen und Leo zum Streit kommen würde. Mark hat ein Testament aufgesetzt, das meinen Verpflichtungen meiner Familie gegenüber Rechnung trägt. Es sieht jedoch vor, dass der Großteil meines Vermögens wohltätigen Einrichtungen zugute kommt. Hinter dem Wunsch, das »Familiensilber« intakt an die nächsten Angehörigen weiterzugeben, steckten die Schrulligkeit und die Arroganz eines närrischen alten Mannes.
Ich fürchte, mein letzter Brief hat Ihnen einen falschen Eindruck sowohl von mir als auch von Leo vermittelt. Ohne es zu wollen, habe ich vielleicht unterstellt, dass ich ein angenehmerer Mensch sei als Leo. Das entspricht keinesfalls der Wahrheit. Leo ist ein unglaublich gewinnender Mensch. Ich hingegen – und das galt übrigens auch für meine Frau, als sie noch lebte – bin ein ziemlich scheuer Mensch, der in Gesellschaft leicht unbeugsam und hochmütig wirkt. Bis vor kurzem noch hätte ich gesagt, dass unsere Freunde uns anders sehen, aber sie haben mich – mit der einzigen rühmlichen Ausnahme von Mark Ankerton – enttäuscht, und die Einsamkeit, der ich mich heute ausgesetzt sehe, hat diese Zuversicht zerstört. Es ist offensichtlich leichter, einen bösen Verdacht auf sich zu ziehen, als ihn wieder loszuwerden.
Sie fragen, wie es mir nützen soll, Sie als mein einziges Enkelkind anzuerkennen? Es nützt mir gar nicht. Das erkenne ich jetzt. Es war eine Idee, die vor einiger Zeit entstand, als Ailsa sich endlich meiner Überzeugung anschloss, dass wir unseren Kindern mehr Schaden als Gutes täten, wenn wir ihnen nach unserem Tod ein großes Vermögen zugänglich machten. Mark war der Ansicht, dass Leo jedes Testament zu Gunsten wohltätiger Einrichtungen mit der Begründung anfechten würde, dass das Vermögen Familienvermögen sei und an die nächste Generation weiterzugeben sei. Gleich, ob Leo nun gesiegt hätte oder nicht, es wäre für ihn auf jeden Fall weit schwieriger gewesen, das Vermögen einer legitimen Erbin in Gestalt einer Enkelin streitig zu machen.
Meine Frau war stets überzeugt davon, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient – um sich zu »bessern«, wie Sie es formuliert haben. Ich glaube, sie hoffte, dass es unseren Sohn veranlassen würde, die Zukunft neu zu bedenken, wenn wir unser Enkelkind anerkennen würden. Seit ich Sie durch Mark Ankertons Bericht und Ihren Brief kennen gelernt habe, habe ich diesen Plan aufgegeben. Er war nur ein egoistischer Versuch, das Familienerbe zusammenzuhalten, und trug Ihrer Liebe und Loyalität zu Ihrer rechtmäßigen Familie keinerlei Rechnung.
Sie sind eine bewundernswerte und kluge junge Frau, die eine wunderbare Zukunft vor sich hat, und ich wünsche Ihnen ein langes Leben und alles Glück. Da das Geld für Sie nicht von Interesse ist, hat es keinen Sinn, Sie in die Schwierigkeiten unserer Familie zu verwickeln.
Sie können sich darauf verlassen, dass Ihre Identität und Ihr Aufenthaltsort mein und Marks Geheimnis bleiben und Ihr Name unter keinen Umständen in irgendwelchen rechtlichen Dokumenten mit Bezug auf diese Familie genannt wird.
Mit Dank für Ihre freundliche Antwort und allen guten Wünschen für Ihren weiteren Lebensweg,
James Lockyer-Fox
6
Shenstead Manor – Weihnachten 2001
Mark Ankertons Überzeugung, dass James Lockyer-Fox seiner Frau niemals etwas angetan hätte, war von allen Seiten unter Beschuss. Die schwersten Geschütze fuhr dabei der Colonel selbst auf. Gewiss, Mark hatte ihm seinen Besuch aufgedrängt und seine kühlen Versicherungen ignoriert, dass er durchaus imstande sei, das erste Weihnachtsfest ohne seine Frau seit fünfzig Jahren mit Anstand hinter sich zu bringen. Aber die Heimlichtuerei des Colonels und seine Unfähigkeit, ein Gespräch länger als ein paar Minuten durchzuhalten, beunruhigten ihn zutiefst.
Der Colonel konnte ihm nicht in die Augen sehen, seine Stimme und seine Hände zitterten. Er hatte in erschreckendem Maß an Gewicht verloren. Er, der früher stets peinlich auf seine Erscheinung geachtet hatte, wirkte jetzt, mit strähnigem Haar, fleckigen Kleidern und weißem Dreitagebart, schmuddelig und ungepflegt. Für Mark war der Colonel stets ein Vorbild gewesen, und er war erschüttert von dieser dramatischen Veränderung sowohl in körperlicher als auch geistiger Hinsicht. Selbst das Haus roch nach Schmutz und Fäulnis, und Mark fragte sich, ob Vera Dawson in ihrer legendären Faulheit beschlossen hatte, überhaupt keinen Finger mehr zu rühren.
Er machte sich Vorwürfe,
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