Fuchsjagd
wollte. Niemand konnte ihn daran hindern. Im Innern wusste er, dass es vorher nicht anders gewesen war. Seine Mutter hatte Fox nie daran hindern können, sich wie ein Wahnsinniger zu benehmen, sie hatte immer nur geschrien und geheult und versprochen, sie würde es nicht wieder tun.
Was
sie nicht wieder tun wollte, hatte er nie verstanden, obwohl ihm jetzt zu dämmern begann, dass es vielleicht etwas mit den Schlafpillen zu tun hatte, die sie ihm und Welpie immer gegeben hatte. Ein Samenkorn des Zorns – erstes Begreifen mütterlichen Verrats – schlug beengend in seinem Herzen Wurzel.
Er hörte Bella sagen, wenn Fox' Behauptung, die Rummelplätze abgeklappert zu haben, stimme, würde das erklären, warum er ihnen nie über den Weg gelaufen war. Aber das stimmt ja gar nicht, wollte er am liebsten laut rufen. Nicht ein einziges Mal hatte der Bus seiner Erinnerung nach in der Nähe anderer Leute gestanden, außer im Sommer bei dem großen Rave. Die meiste Zeit hatte Fox sie irgendwo mitten auf weiter Flur abgesetzt und war dann tagelang verschwunden. Manchmal war Wolfie ihm gefolgt, um zu sehen, wohin er ging. Aber er war immer von einem schwarzen Auto abgeholt worden, das mit ihm weggefahren war.
Wenn seine Mutter dazu in der Lage gewesen war, war sie mit ihm und Welpie auf der Landstraße bis zur nächsten Ortschaft marschiert, doch meistens hatte sie nur zusammengerollt im Bett gelegen. Er hatte immer geglaubt, es hätte damit zu tun, dass sie so große Angst vor den Leuten vom Jugendamt hatte. Jetzt fragte er sich allerdings, ob ihr nicht etwas anderes die Kraft geraubt hatte.
Wolfie versuchte, sich an die Zeit zu erinnern, als Fox nicht da gewesen war. Manchmal erschien sie ihm in seinen Träumen, mit Erinnerungen an ein Haus und ein richtiges Schlafzimmer. Er war sicher, dass es alles Wirklichkeit war und nicht nur Einbildung… aber er wusste nicht, wann es gewesen war. Es war sehr verwirrend. Warum war Fox sein Vater, aber nicht der von Welpie? Ach, wenn er doch mehr über Eltern wüsste. Er kannte so etwas wie Familienleben nur aus den Hollywoodfilmen, die er gesehen hatte – wo Mütter »hab dich lieb« sagten, die Kinder »Spatz« genannt wurden und alle in Häusern mit Veranden und Gärten wohnten – nichts als Schwindel, genau wie Wolfies »John-Wayne«-Gang.
Er spähte angestrengt zu Fox' Bus hinüber, aber an der besonderen Neigung des Türgriffs konnte er erkennen, dass von außen abgesperrt war. Wolfie, der zu gern gewusst hätte, wohin Fox verschwunden war, knickte eine Ecke der Pappe im Seitenfenster nach innen und blickte suchend in Richtung Mörderhaus. Er bemerkte Nancy, lange bevor sie ihn bemerkte, beobachtete, wie sie aus dem Wald kam und sich vorn neben dem Rad unter dem Fahrersitz niederkauerte, sah, wie das Absperrungsseil zu Boden fiel. Er dachte daran, Bella mit einem Zuruf zu warnen, aber da hob die Frau den Kopf und drückte einen Finger auf die Lippen. Er fand, ihre Augen waren voller Seele, darum drückte er die Pappe wieder an die Scheibe und sank zwischen Sitz und Armaturenbrett langsam zu Boden. Er hätte sie gern gewarnt und ihr gesagt, dass Fox sie wahrscheinlich auch beobachtete, aber er getraute sich nicht.
Er schob den Daumen in den Mund, schloss die Augen und tat so, als hätte er sie nicht gesehen. Er hatte das schon einmal so gemacht – die Augen geschlossen und so getan, als könnte er nichts sehen. Aber er wusste nicht mehr, warum… und wollte es auch gar nicht wissen.
Beim Läuten des Telefons fuhr Vera zusammen. Es kam so selten vor, dass jemand anrief. Sie warf einen verstohlenen Blick zur Küche, wo Bob saß und Radio hörte, dann hob sie den Hörer ab. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie die Stimme am anderen Ende hörte. »Natürlich verstehe ich«, versicherte sie und streichelte den Fuchsschwanz in ihrer Tasche. »
Bob
ist dumm – nicht Vera!« Als sie auflegte, regte sich etwas in ihrem Gedächtnis. Eine flüchtige Erinnerung, dass jemand ihren Mann hatte sprechen wollen. Ihr Mund mahlte und zuckte, während sie sich zu erinnern versuchte, wer es gewesen war. Aber es war eine zu große Anstrengung. In letzter Zeit arbeitete nur noch ihr Langzeitgedächtnis, und selbst das war voller Löcher…
16
Diesmal waren keine Schlüssel nötig. Fox kannte die Gewohnheiten des Colonels von früher. Er achtete stets zwanghaft darauf, dass Haustür und Hintertüren verriegelt waren, wenn er ausging. Aber er dachte fast nie daran, die Terrassentür
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