Fuchsteufelswild
Lippen ziehen sich in die Breite.
Die Wiesner gibt ihm einen Schmatz auf die Backe.
»Für den tapferen Ritter.«
»Des hätt ich gern schriftlich.«
Der Jonny gesellt sich zu ihnen. Plumpst auf das Sofa wie ein Sack Kartoffeln.
»Leckomio, so a Mannweib. Erzählts des bloà keinem. Du bist ja drauf, Sandra.«
»Na«, seufzt die Wiesner, »von Frauen hast du kan blassen Schimmer. Darüber red ma noch mal, wenn du groà bist.«
Sie bleiben einfach hocken, warten darauf, dass die Leistner nach drauÃen bugsiert wird, und hören dazu Ennio Morricones Westernhymne. Es fehlt das Popcorn.
Die Ninja-Lady hängt bös in den Seilen.
Ordentlich hingelangt hat er, der Krücken-Meister. Sonst nicht sein Metier, das Frauenverdreschen. Für jeden kommt das erste Mal. Dabei ist der Altusrieder kampfsporterfahren. Neben der polizeilichen Selbstverteidigung hat er sich als Kind, mit Protektion der Mutter, drei Jahre lang in einen Judokurs geschleppt. Er hätte in der Schule die Klassenkameraden aufs Kreuz schmeiÃen sollen, die ihn allerweil gehänselt haben: »Deine Mama ist eine greisliche alte Hex.« Von Spiritualität waren die völlig unbeleckt.
»Hat wer a Kippe?«, fragt die Wiesner in die Runde. Ein eilfertiger Trachtengruppler hält ihr eine Schachtel Luckys entgegen. Sie schaut das Packerl lange an, dann der Leistner hinterher.
»Dankschön.«
Sie greift nicht zu. Der Bursch zuckt die Schultern und wendet sich wieder seinem Handwerk zu. Verhaftete Mörderinnen einsackeln. Hat er auch nicht jeden Tag. Kann er Mama und Papa was erzählen von den abgebrühten Profis der Mordkommission.
»Ned amal des schaffst du«, murmelt die Wiesner Richtung Leistner, »du ned.«
In diesem Leben mag sie gar nicht mehr aufstehen. Es geht nimmer. Sie schlieÃt die Augen. Nur a bisserl ausruhn, bittschön. Und der Sandner? Im Bett wird er herumflacken.
H ängst du dereinst am Galgen droben, weiÃt du, wie schwer dein Arsch gewogen«, hat der Villon einmal sinngemäà gereimt. Der ist nie weit entfernt davon gewesen â lebenstechnisch betrachtet. Davon könnte der Sandner aktuell auch ein Lied trällern, wenn er einen Ton zustandebrächte. Im Moment starrt er nur eine weiÃe Fläche an.
Im Krankenwagen ist er gelegen. Dem Tod von der Schippe gesprungen, wie man so dahersagt. Mit Hochgeschwindigkeit und Sirene ist das Fahrzeug dahingejagt. Die Augen geschlossen, hat er alles über sich ergehen lassen. Dann hat der Wagen gehalten. Mit der Trage hat ihn wer aus dem Auto geholt, gerollt, im Aufzug gefahren, wieder getragen, und irgendwann durfte er bleiben, wo er war. Gedöst hat er, oder er ist einfach in den Schlaf gefallen.
Dass es die Murnauer Unfallklinik sein wird, geht ihm jetzt durch den Kopf. Er ist lebend aus dem Wald gekommen. Ausruhen. Die Halsschmerzen sind grausam, das Schlucken Tortur. Es macht ihn glücklich. Tränen laufen ihm über die Wangen. Verreckt wird ein anderes Mal. Nicht jetzt. Noch nicht. Das genügt ihm. Stimmen dröhnen, als wär er mit einer Bärenfamilie in der Höhle eingesperrt. Gebrumm, mal hoch, mal tief â die Wörter sind nicht zu begreifen. Wer braucht Wörter? Das, was ihm einschieÃt, könnte er nicht ausdrücken. Dafür müsste man erst Wörter zamnageln in der Werkstatt. Die gibt es in keiner Sprache. Hat sich das der Minovici zwölf Mal gegeben? Respekt.
Offenbar hat sein Leib die Ãrzte befriedigt. Niemand zupft und zerrt aktuell an ihm herum, als gäb er in der Polsterei das zerschlissene Kanapee. Probehalber schlägt er die Augen auf. Die Murnauer Schupos stehen schweigend herum, die Hände obligatorisch in den Hosentaschen. Als sie seinen Blick bemerken, werden sie hektisch. Wieder ein Schwall an Sätzen. Es rauscht nur in Sandners Ohr. Ist das der Sauerstoffmangel im Hirn gewesen, und er ist deppert geworden? Oder bekommst du beim Erhängen einen Tinnitus?
»Herr Sandner«, hört er schlieÃlich heraus. Ja, das ist definitiv sein Name. Den kennt er.
»Hambacher«, versucht er zu sagen, aber es schlüpft tonlos heraus, wie beim Happy-Birthday-Gesang der Marilyn Monroe. Nur mit den Lippen geformt und gehaucht. Die Stimme hat sich in die Büsche geschlagen oder hängt noch am Baum. Mit den Händen versucht er, ein H zu zeigen. Zwei Finger, einen dritten quer.
Sie verstehen nicht, was er will.
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