Fuchsteufelswild
domestizierten Variante. Wild und ungezähmt lebt es sich anderswo. Zur SedanstraÃe passt kein Blut, höchstens ein vollmundiger Rotwein. Es passt nicht zu den efeubegrünten AuÃenwänden, den verspielten Erkern, den roséfarbenen Häusern, der Beschaulichkeit und dem lässigen Flair, dessen sich das Viertel bedient. Sogar dein Gang verändert sich, wird weicher, federnder, sobald du den Ostbahnhof gen Norden verlässt.
Es sollen ja dustere Winkel in der bayrischen Hauptstadt existieren, da tappst du morgens tramhappert vors Häusl und könntest auf der Stelle jemanden derschlagen â einfach weil das bestens zum Umgebungsmenü harmoniert. Da wär der Mord eine kreative Anpassungsleistung. In Haidhausen ist er ein unverzeihlicher Fauxpas.
Bei Brandls Adresse angekommen, sperrt sie brav das Radl ab und zerrt seinen Hausschlüssel aus der Tasche. Das hat sie sich vom Sandner abgeschaut. Der hatte auch immer Tatort-Schlüssel eingeschoben, falls ihn spontane Erleuchtung anfallen würde. Erster Stock. Gerade noch im Gedankenschlamm aus Sandner, dem spirituellen Oktett und der Haidhausener Intelligenzija steckend, ist sie schlagartig im Hier und Jetzt. Die depperte Wohnungstür. Sie ist nur angelehnt. Das polizeiliche Siegel ist weggefetzt.
Grand Malheur, um nicht zu sagen: Merde.
Neben der Tür geht sie in die Hocke. Der Verstand läuft hochtourig. Sie muss sich Verstärkung rufen. Unbedingt. Den Hartinger und den Jonny. Nicht einmal eine Waffe hat sie eingeschoben. Kein Geräusch ist zu hören. Wer ist so strunzdumm und lässt die Tür offen, wenn er in der Wohnung umanand ist?
Nichts riskieren.
Sie wird Zeit verlieren, falls jemand Spuren hinterlassen hat. Ruf an.
Dazu müsste sie vor das Haus oder ins Erdgeschoss springen, um niemanden drinnen zu warnen. Und was sollte sie anstellen, wenn jemand die Wohnung verlässt? Der wird längst über alle Berge sein, falls er einen Funken Verstand besäÃe. Hohe Erwartungshaltung. Was sagt der Instinkt? No risk, no fun. Sie richtet sich wieder auf und huscht vor die Tür. Lautloses Anschleichen. Sie lauscht. Alles stad, nur ihren eigenen flachen Atem, vermischt mit dem Pochen ihrer Blutpumpe, hat sie in den Ohren. Feuchte Hände.
Eins â zwei â drei.
Mit dem Fuà stupst sie gegen die Tür. Bis zur Hälfte schwingt sie auf. Nichts. Niemand. Na also. Nur mal reinluren. Was riecht da so komisch?
Jessas! Sie bekommt ihren vorgereckten Kopf nicht rechtzeitig zurück. Die Tür! Sie schwingt ihr urplötzlich entgegen. Wird sie treffen. Der Reflex kommt zu spät.
Oh mei! Nur dieser winzige Gedankensplitter scheppert durchs Hirn, eine Millisekunde, bevor das Holz ihr voll ins Gesicht drischt. Woummp! Alles schwarz. Aus die Maus.
D ie Wiesner schlägt die Augen auf. Sie liegt weich. Einen Futon ertastet sie unter sich. Gleich wird sich der Brandl Toni um sie kümmern. Sie ist die Nummer neun. Da holt sie der Schmerz ein. Ihr Gesicht tut sauweh. Tränen schieÃen ihr in die Augen.
»Der Notarzt ist gleich da«, hört sie eine irgendwie bekannte Stimme. Dann kommt ein Mann in ihr Blickfeld. Er kann es nicht sein. Es ist der Yves â mit blutbeflecktem Gwand. Die Wiesner presst die Augenlider zusammen. Aufwachen. Sie will nach ihrer Nase tasten. Die ist die Hölle. Sie bekommt keine Luft. Jemand nimmt ihr Handgelenk.
»Nicht«, sagt Yves, und da ahnt sie, dass sie schon wach ist.
H artinger! Seids ihr komplett damisch! Euch derf ma ned allein lassen, wie die kloana Kinder! Kreuzkruzifix nochamal!«
Wenn der Sandner noch weiter plärrt, kriegt der Hartinger einen veritablen Gehörschaden. Der Knopf im Ohr ist seine BuÃe. Weil er gerade zum Krankenhaus rast und dazu beide Hände braucht, ist er Sandners Stimmgewalt hilflos ausgeliefert. Gefühlte zwanzig Mal hat er ein »Aber« entgegenzusetzen versucht, es ist gnadenlos abgesoffen im akustischen Tsunami. Der Sandner bekommt im Gegenzug ein Hörspiel geboten, da der Hartinger, ohne die Verbindung zu unterbrechen, ins Klinikum rechts der Isar, zur Unfallstation und schlieÃlich zu Wiesners Behandlungsraum eilt. Ungeduldig lauscht er den Gesprächen mit der Pforte und Hartingers Dialog mit einer Krankenschwester.
»Hallo Sandra«, hört er den Hartinger endlich sagen.
»Gib sie mir, los, gib sie mir!«, ruft er dazwischen.
»Oh, Sandner ...« Ihre Stimme
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