Fuck Buddies - Wilde Spiele
Sekunden hatte der Kleine seine Souveränität wiedergefunden. „Alles okay, Anna. Danke. Wir hatten nur ’ne kleine Meinungsverschiedenheit. Cem wollte gerade gehen.“
Cem kam sich schäbig vor. So klein. So assi. Er passte gut in dieses Haus. Nicht die anderen waren der Abschaum. Er war es. Er schämte sich.
„Anna, bringst du Cem raus? Ich schau mal nach Tom.“ Trotz der Tränen in seinem Gesicht klang Kais Stimme resolut.
Cem stand auf, zog sich die Hose und das Tanktop an und folgte Anna, ohne sich noch einmal nach Kai umzudrehen. Als er in den Flur trat, stand Anna bereits an der Wohnungstür und hatte die Klinke in der Hand. Sie wirkte verängstigt und unsicher. Wahrscheinlich fürchtete sie sich vor einer erneuten Hassattacke von Cem, die diesmal gegen sie gerichtet sein könnte. Doch Cem fühlte sich einfach nur elend. Er wünschte sich, dass die letzten Minuten bloß ein Traum gewesen waren. Ein Alptraum.
„Anna, es tut mir leid. Ich … Ich …“, stammelte er.
„Ist schon gut. Ich weiß, was Eifersucht in einem auslösen kann.“
Anna, mit der er außer ein paar Sätzen auf der Grillparty nie etwas zu tun gehabt hatte, verblüffte ihn.
„Du hast es gewusst?“
„Na klar, Kai und ich erzählen uns alles. Mein Bruder ist auch schwul. Ich wollte ihn schon mal mit Mark verkuppeln, aber das hat überhaupt nicht funktioniert.“
„Es tut mir leid. Ich kann nichts mehr sagen …“
„Musst du gar nicht. Das tu ich übrigens auch nicht.“
Cem merkte, wie ihm wieder übel wurde. „Wie meinst du das?“
„Na, deine Frau meine ich. Ich werde ihr nichts sagen. Das eben ist nie passiert. Aber versprich mir eins.“
„Ja?“
„Lass Kai in Ruhe. Es ist besser so.“
„Ja“, erwiderte er und betrat das Treppenhaus.
Gerade hatte er die erste Stufe genommen, da fügte Anna hinzu: „Und Cem?“
„Ja?“
„Es tut mir leid, dass ich dir weh getan habe.“
„Hast mir nicht weh getan. Du nicht. Gute Nacht, Anna.“
Und damit entschwand er ins dunkle Treppenhaus.
Cem schaffte es bis in den dritten Stock, bevor er sich übergeben musste. Er kotzte an die mit Graffiti besprühte Wand neben dem Lift. Passender hätte das Fazit dieser Nacht nicht sein können. Schließlich sackte er in sich zusammen und brach in Tränen aus. Er bemühte sich, so geräuschlos wie möglich zu weinen. Die Tränen liefen ihm über die Wangen und fingen sich in seinem Bart. Er schluchzte leise. Es brach einfach so aus ihm heraus. All die unterdrückten Gefühle. All der Schmerz. All die ungelebte Leidenschaft. Die heimlichen Träume. In sich zusammengesunken verharrte er dort fast eine halbe Stunde, bis er sich vollkommen leer fühlte.
Dann nahm er den Lift und fuhr hinauf – zurück in sein Leben.
Als er die Tür aufsperrte, stand Alara mit dem schreienden Baby auf dem Arm im Flur und starrte ihn an wie ein Gespenst.
„Cem, wo bist du gewesen?“
„Zigaretten holen“, antwortete er knapp.
Und ohne Alara in die Augen zu sehen, ging Cem an ihr vorbei in Richtung Schlafzimmer.
***
An einem Donnerstagabend ein paar Wochen später traf Cem im Treppenhaus auf Anna. Er kam gerade von einem anstrengenden Arbeitstag im Hotel nach Hause, als er sie sah. Anna startete gerade einen neuen Versuch, die Überreste der Hassparolen verschwinden zu lassen und ihrer Wohnungstür mit einem überlebensgroßen Hello-Kitty- Poster ein neues Image zu verleihen.
„Hey Cem“, begrüßte sie ihn. „Na, wie geht’s dir?“
„Hi Anna. Geht so. Dir?“
„Danke, danke.“
Es entstanden einige Sekunden peinlicher Sprachlosigkeit, bis Cem sich einen Ruck gab. „Und Kai, wie geht’s dem so?“
„Dem geht’s super. Der wohnt nicht mehr hier. Ist umgezogen, näher in Richtung Stadt. Teilt sich jetzt eine Wohnung mit zwei anderen Jungs.“
Anna betrachtete ihn mit großen Augen und schien nun irgendeine Form von Extremreaktion von ihm zu erwarten. Oder Erstaunen. Ein Weinen. Ein Seufzen. Aber Cem war Cem. Er sah sie nur an und erwiderte: „Schön. Dann noch ’nen schönen Abend, Anna.“
„Dir auch.“
Er wollte nicht vor Anna auf den Lift warten. Unter Umständen dauerte es eine Ewigkeit, bis der Fahrstuhl seinen Weg hinunter ins Erdgeschoss fand und Cem in der Kabine verschwinden konnte, um der betretenen Stille zu entfliehen. Daher nahm er die Treppe. Nach den ersten drei Etagen geriet er völlig außer Atem.
Verdammte Raucherei. Ich muss unbedingt damit aufhören.
Das Experiment
Drei Monate
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