Fuck Buddies - Wilde Spiele
mit ihrem spießig gemusterten Regenschirm überziehen. Doch er konnte nicht anders. Er musste sich in einer Tour räuspern. Das war immer so, wenn er nervös war. Und an diesem Abend war er nervös. Die Fahrt durch die halbe Stadt kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Er hatte das Gefühl, nie zuvor in dieser vornehmen Gegend gewesen zu sein. Eine prächtige Jugendstilvilla reihte sich hier an die nächste. Nur ab und zu unterbrachen moderne High-End-Wohnanlagen die Kette der hochherrschaftlichen Anwesen. Die Vorgärten hatten jeweils die Ausmaße eines Stadtparks. Hier wohnten also die, die es geschafft hatten. Die aus reichen Familien abstammten oder sich ihren Erfolg hart erarbeitet hatten – manche mehr, manche weniger. Einige seiner Kommilitonen lebten hier. Die mussten nicht in drei Nebenjobs schuften, um ihr Studium zu finanzieren. Aber egal. In diesem Moment beschäftigten ihn andere Dinge mehr als soziale Ungerechtigkeiten.
Zum Beispiel die Tatsache, dass er auf dem Weg zu einer Verabredung war, deren Verlauf und Ausgang Kai sich beim besten Willen nicht ausmalen konnte. Was wusste er denn schon von seinem Prof? War Medenbacher schwul? War er hetero? Ein Sadist? Ein Wahnsinniger? Erwartete Kai eine Arbeitsgruppe mit anderen Kommilitonen oder ein Candlelight-Dinner zu zweit? Er hatte zwar schon viele Dates hinter sich, die er übers Internet ausgemacht hatte. Aber da hatte er bereits im Chat versucht herauszufinden, was ihn später erwartete. Liebhaber oder Henker. Orgasmus oder Schafott. Und seine Einschätzung war bis dato immer die richtige gewesen. Doch was Pädo betraf, konnte er sich einfach kein Bild machen. Organisiert, wie er nun mal war, hatte Kai im Kopf alle möglichen Szenarien durchgespielt. Und am Ende immer das gleiche Fazit gezogen: Sex stand heute definitiv nicht auf der Speisekarte. Höchstens Fisch. Und das war auch gut so.
Kai hatte sich für seine Verhältnisse ziemlich herausgeputzt. Zu Baggy Jeans und silbernen Sneakers trug er ein weißes V-Neck-Shirt, darüber ein schwarzes Sakko. Das einzige, das er besaß. So würde er in jeden In-Club kommen. Seine blonde Mähne hatte er heute zur Feier des Tages zurückgegelt. Das gab ihm zusammen mit dem Dreitagebart, den er sich in den letzten Wochen hatte stehen lassen, einen verwegenen Touch. James Dean in schwul im Jahre 2012. Er fühlte sich wohl in seiner Haut.
In den letzten Stunden hatte sich in Kai etwas getan. Er hatte den Eindruck, dass Pädo mit seiner Einladung irgendetwas in seinem Geist ins Rollen gebracht hatte. Allerdings konnte er noch nicht definieren, was genau es war. Und gegen seinen Willen hatte sich in seinem Kopf eine erotische Phantasie manifestiert. Eine Vorstellung, die er fortwährend zu verwerfen versuchte. In dieser Phantasie hatte Kai Sex mit dem Prof: Medenbacher fickte ihn heimlich in seiner Doppelgarage auf der Kühlerhaube seines Porsches, während seine essgestörte Lebensgefährtin auf der Wohnzimmercouch per Telefon Botox-Ampullen bestellte und die Tage bis zu ihrer Volljährigkeit zählte. Absurd. Aber irgendwie geil. Die Sexträumereien gaben Kai Rückenwind. Und den brauchte er auch in diesem Moment, denn seine Knie versagten ihm fast den Dienst, als er aufstand, um an der nächsten Haltestelle auszusteigen. Ein letztes Mal räusperte er sich nun betont laut, um die alte Schachtel final zu erzürnen, dann verließ er schelmisch grinsend die Tram.
Das GPS auf seinem Handy zeigte ihm an, dass er nur noch eine Querstraße von seinem Ziel entfernt war. Auf einmal verlangsamten sich Kais Schritte. Sein Bauch begann, SOS-Rufe in Stadionlautstärke an sein Gehirn zu senden. Ihn überkam ein verdammt beschissenes Gefühl. Die Neugier und seine sexuelle Erregung waren wie weggeblasen. Furcht und Zorn, vor allem auf sich selbst, stiegen in ihm auf.
Was tust du hier? Bist du bescheuert? Was glaubt dieser arrogante Kerl eigentlich, wer er ist? Und du alte Pflaume kommst sofort angehechelt wie ein kleines Hündchen, weil Herrchen gerufen hat? Der steht doch sowieso nicht auf Jungs. Da geht’s um was anderes. Also, kehr um und fahr in die Sauna. Damit der Abend nicht ganz umsonst war …
Kai wollte sich gerade umdrehen und den Rückweg antreten, als er eine vertraute Stimme vernahm.
„Kai, wo wollen Sie hin?“
Offensichtlich war sich Medenbacher bis zum Schluss nicht sicher gewesen, ob er wirklich erscheinen würde, und war ihm deshalb entgegengelaufen. Und da stand er nun. Keine zwanzig Meter von Kai entfernt.
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