Fuck the Möhrchen: Ein Baby packt aus Roman (German Edition)
Entstehungsphase.
Gerade überlege ich, wie ich an Mamas Gläser im obersten Fach der Anrichte heran komme, um ihnen im untersten ein neues Zuhause zu geben, als Mama ihr Gespräch überrascht unterbricht: »Warte mal, Wiebke, wo ist denn Mia, das kann doch gar nicht sein?!«
Sie springt auf, entdeckt mich neben dem Bücher-Dom und kreischt aufgeregt: »Wie bist du denn da hingekommen, Mialein? Das ist ja großartig! Da ist die Mama aber sto-holz! Guck mal, Wiebke, Mia kann robben! Ich wusste doch, dass aus dir mal was wird, zeig uns mal, wie du dich fortbewegst, mein kleiner Hosenscheißer!«
Die Betonung liegt auf »fort«, denke ich und überlege, ob ich vom Robben gleich weitermachen, das Krabbeln überspringen und sofort loslaufen soll, und dann nur noch laufen, laufen, laufen bis ich an einem Ort bin, an dem keiner mehr Scheißer zu mir sagt, nein, wo keiner das Wort Scheißer überhaupt nur kennt.
Wegen meines motorischen Defizits verwerfe ich den Gedanken aber sofort und gehe in Verweigerungshaltung.
»Was ist denn los, Mia?«, fragt Mama enttäuscht hinter dem Camcorder, »warum zeigst du der Mama nicht, was du kannst?«
»Sie braucht sicher einen Anreiz«, bringt sich Wiebke lächelnd ein und legt in einem großen Abstand zu mir eine Dinkelstange auf den Boden.
Vielen Dank, Frau Nachbarin, da hatte ja jemand eine ganz originelle Idee, denke ich und halte die Stellung.
»Es funktioniert nicht«, kommentiert Mama hilfesuchend.
Sie versuchen es mit Amaranthkeksen, Banane und der Motorikschleife.
Nichts.
Erst als sie einen Muffin als Köder auslegen, setze ich mich in Bewegung und robbe los wie eine Bundeswehrsoldatin, die zu oft beim PEKiP »Wo sind meine Beine, ich habe keine Beine mehr« gehört hat.
Mama ist entzückt, sie tanzt um mich herum wie ein Anfänger-Fakir auf brennenden Kohlen.
Dann räumt sie die Bücher wieder ins Regal zurück, und ich ärgere mich darüber, dass meine Arbeit nicht anerkannt wird. Fühle mich gemobbt und würge den Muffin wieder hoch. Wollen doch mal sehen, wer hier die Stärkere ist.
18. Das Dinkel-Ei und der Mops
Offensichtlich ist Mama gerade irgendetwas Aufregendes passiert, denn obwohl sie sonst ein Morgenmuffel ist, weckt sie mich freudestrahlend und sagt, dass der Osterhase da war.
War, denke ich, und dreh mich nochmal um.
Mama wird ungeduldig und sagt, ich solle ihr beim Eiersuchen helfen.
Ich glaube es nicht: Mama verlegt wirklich alles.
Es ist zum Verrücktwerden, täglich rennt sie mit mir auf dem Arm in den Keller, und weiß nicht mehr, was sie da will. Manchmal male ich ihr mit Möhrenbrei ein Wischbild auf den Boden mit Kartoffeln drauf und trockener Wäsche, doch Mama will keine Hilfe und feudelt das immer direkt weg. Vermutlich empfindet sie mich künstlerisch als Konkurrenz, aber so schnell gebe ich nicht auf.
Beim nächsten Mal versuche ich es mit Kartoffeldruck.
Ehrlich gesagt finde ich, dass um acht Uhr morgens kein Mensch Eier braucht. Teddy pflichtet mir bei und baut aus Lego ein betreutes Wohnprojekt für Alzheimerkranke. Ich finde es großartig, dass er so fürsorglich ist, doch Mama beachtet ihn nicht und besteht aufs Eiersuchen. Widerwillig beschließe ich, ihr zu helfen, robbe in die Küche und ziehe an der Kühlschranktür.
Zehn Eier in Reih’ und Glied.
Mama schüttelt den Kopf, lacht und trägt mich schnurstracks Richtung Garten. Ich bin entrüstet und werfe auf dem Weg in den Garten ärgerlich einen Blick auf die Einkaufstasche von gestern.
Tatsächlich.
Alle fünfzig Eier weg. Mama kauft gern von allem viel – es sei dann billiger, sagt sie, obwohl sie mehr dafür bezahlt. Das begreife ich nicht, muss aber vielleicht auch nicht alles verstehen, und ich beschließe, erst mal in Ruhe ein Nickerchen auf ihrem Arm zu machen.
Doch zum ersten Mal ist Mama dagegen, dass ich schlafe, unglaublich, sie wirkt geradezu verzweifelt und sagt, ich solle nun endlich die Eier im Garten suchen.
Mir schwant Böses.
Ich hatte mir neulich einen Hund gewünscht.
Hund, nicht Huhn. Klingt ähnlich, ein Huhn hat aber kein Fell und holt kein Stöckchen. Dass sie Dinge verwechselt, kenne ich schon von ihr, und ich bin mir nun endgültig sicher, dass Mama schlechter hört, als Stevie Wonder sehen kann. Wenn ich Keks sage, kriege ich zum Beispiel immer Vollkornbrot mit Dinkeltofupastete. Schön ist das nicht.
Als sie die Terrassentür öffnet, atme ich auf. Kein Huhn ist in Sicht, nur meine komplett versammelte Verwandtschaft, die sich hinter
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