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Fucking Berlin

Fucking Berlin

Titel: Fucking Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Rossi
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immer misstrauisch nach links und rechts. Nach einer Weile endlich klingelte er an einem Schild ohne Namen. Die Tür ging ohne Begrüßung auf.
    Die Wohnung, die wir im Haus betraten, war klein und roch nach Schimmel und Katzenurin. Die Tapete im Flur war vergilbt und an manchen Stellen zerrissen. An einem Küchentisch saß eine Frau vor einem Bier und einer brennenden Kippe. Als sie sich umdrehte, schaute sie Ladja an, als ob er ein Geist sei, hob die Augenbrauen und brachte keinen Ton heraus. Sie rauchte einfach nur ihre Zigarette und starrte ihn die ganze Zeit an. Erst als ich ihr Gesicht genauer betrachtete, konnte ich erkennen, dass es sich um seine Mutter handeln musste – sie hatte dieselben Katzenaugenwie er. Obwohl sie nach Ladjas Erzählungen erst Anfang vierzig war, wirkte sie durch die tiefen Falten und die grauen Haare wie sechzig. Auf ihren schmalen Schultern hing eine schwarze Strickjacke.
    Ohne ihren Sohn begrüßt oder berührt zu haben, stand sie auf, schlurfte mühselig zur Anrichte und kochte uns einen Kaffee. Dabei sprach sie die ganze Zeit mit Ladja, der seine Aufregung schwer verbergen konnte. Sie hatten sich immerhin seit fünf Jahren nicht gesehen. Seine Mutter hingegen wirkte gleichgültig oder müde, wie jemand, der eine schwere Last zu tragen hat und sich jetzt nur noch ausruhen möchte.
    Sie leerte die Bierflasche und machte schnell eine neue auf. Ein paar Mal lächelte sie scheu in meine Richtung, ich lächelte höflich zurück. Aber tatsächlich spürte ich eine eisige Kälte, die mir durch Mark und Bein drang. Als ob uns die ganze Zeit ein Feind auflauern würde.
    »Gehen wir«, sagte Ladja nach einer Stunde abrupt. Es war genau sechzehn Uhr. Er stand auf, zog sich seine Schuhe an und küsste seine Mutter auf die Wange. Sie guckte uns genauso abwesend an wie bei unserer Ankunft – als ob wir zwei Fremde wären, die zufällig vorbeigekommen waren.
    Später erzählte Ladja mir, dass er unbedingt hatte vermeiden wollen, dass wir seinen Vater trafen, der üblicherweise um vier Uhr nachmittags nach Hause kam. »Beim letzten Mal, als wir uns gesehen haben, hat er mir die Nase gebrochen«, sagte er leise.
    Am nächsten Tag gingen wir zum Bürgeramt, wo Ladja sich die zum Heiraten notwendigen Dokumente holte. Meine Geburtsurkunde hatte mir mein Vater geschickt, mit der Bitte, mir das Ganze nochmal zu überlegen. Doch meine Entscheidung stand fest.
    Wir bekamen einen Termin für zwei Wochen später, voneiner Beamtin, die uns neugierig anstarrte. Ladja war frisch rasiert und hatte sich die Haare kurz geschnitten. Trotz seiner vierundzwanzig Jahre sah er aus wie siebzehn und ich war ja auch erst zwanzig.
    Nachmittags schauten wir nach einem Brautkleid. An Kaufen war natürlich nicht zu denken.
    »Muss ja keine Schickimickiveranstaltung werden. Wichtig ist der Inhalt«, meinte Ladja. Am Ende lieh ich mir aus einem Laden ein ärmelloses, weißes Oberteil und einen schlichten Rock aus weißer Seide. Als ich mich im Spiegel sah, erkannte ich mich kaum wieder.
    An einem Frühlingsnachmittag um fünfzehn Uhr wurde ich Ladjas Ehefrau, ein Wort, das ich nie in dem Mund nahm, weil es so erwachsen und ernst klang. Dabei blieben wir dieselben: zwei verknallte junge Leute, die Pläne schmiedeten und sich irgendwie durchs Leben boxten.
    Als wir Polen mit der Heiratsurkunde in der Tasche verließen, seufzte Ladja tief. Er schien erleichtert und gleichzeitig melancholisch und sah aus dem Zugfenster, als könnte er da draußen, im üppigen Grün, etwas entdecken. Vielleicht eine Erinnerung an seine Kindheit, die nichts mit Schlägen, Alkohol und Leere zu tun hatte, etwas aus seiner schönen und traurigen Heimat, das er mitnehmen und von dem er später seinen Kindern erzählen konnte.
    Als wir in Berlin ankamen, war alles wie immer. Tomas, Ladjas bester Kumpel, zerstritt sich mit seiner Freundin und wurde von ihr rausgeschmissen. Eine eigene Wohnung zu mieten kam für ihn nicht in Frage, und da er immer noch keine Aufenthaltsgenehmigung und keinen festen Job hatte, zog er bei uns ein.
    Die ersten Tage waren lustig und sorgenfrei, ich fühlte mich ein wenig wie in einer Kommune. Abends aßen wirzusammen und spielten bis vier Uhr morgens »Mensch ärgere dich nicht« und »Risiko«, und irgendwann am frühen Nachmittag standen wir auf und fuhren mit den Fahrrädern zum Wannsee.
    Einmal kamen die beiden sogar aus Jux mit mir in die Uni und setzten sich in eine Übung über Differentialrechnung – natürlich

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