Fucking Berlin
Wende in Frührente gegangen. Eigentlich hatte er, wie sein Opa und sein Vater zuvor, Komiker werden wollen, doch kurz nach dem Krieg gab es im zerstörten Ostberlin keinen Bedarf für soetwas. Seine Leidenschaft hatte er aber nie aufgegeben und so erzählte er immer verdammt lustige Geschichten.
Am besten fand ich das Abenteuer mit der »Stasischlampe«. Wolfgang war, stockbesoffen und geil, in den fünfziger Jahren in einer Kneipe in Pankow gelandet. Dort hatte er eine ebenfalls betrunkene Dame abgeschleppt, die, kaum hatte sie seine Wohnung betreten, ihre Handtasche entleerte. Zum Vorschein kamen mehrere Personalausweise, manche auch aus Westberlin, mit verschiedenen Namen, aber immer dem selben Foto. Als die Frau dann im Alkoholrausch anfing, ihn zu beschimpfen, rastete Wolfgang auch aus und rief vom Nachbarstelefon die Volkspolizei an, die die verblüffte Dame mitnahm. Wolfgang musste zur Wache fahren, um eine Aussage zu machen. »Diese beschissene Stasischlampe!«, brüllte er die ganze Zeit. »Ich habe sogar einen Beweis!« Mit diesen Worten kramte er einen Slip aus der Hosentasche, den die Frau auf der Toilette zurückgelassen hatte. Die sonst so verkrampften Staatsdiener mussten laut loslachen. Sie merkten schnell, dass Wolfgang nur ein armes Schwein war, ein bisschen Spaß haben wollte und mit Politik nichts am Hut hatte, und so durfte er ungeschoren nach Hause.
Anja war allerdings immer misstrauisch, wenn eine Frau sich gut mit einem Gast verstand. Normalerweise waren private Kontakte zwischen Freiern und Frauen unerwünscht, doch von Wolfgang hatte ich Telefonnummer und Adresse. 4
Ihn besuchte ich tatsächlich. Er hatte eine unauffällige Zweizimmerwohnung in einem Plattenbau am Stadtrand, zwischen gepflegten Wiesen und Kinderspielplätzen. Die Fußböden waren aus grünem PVC , aber er hatte ein paar hübsche Möbel: einen alten Schreibtisch aus Mahagoni und einen Apothekerschrank, beides Erbstücke. Am meisten gefiel mir sein altmodisches Telefon aus DDR -Zeiten, mit einem Riesenhörer und Wählscheibe. An den Wänden hingen Fotos von nackten Frauen, manche aus Zeitungen, andere selbstgeknipst von den unzähligen Escort-Mädchen, die ihn über all die Jahre besucht hatten.
Das Beste aber war Wolfgangs Kartoffeleintopf, angeblich nach einem alten Berliner Rezept seiner Oma. JedesMädchen, das ihn besuchte, bekam einen Teller, weil: »Et jibt nischt Schlimmeret, als ein Mädel hungrig jehen zu lassen.«
Nach dem ersten Besuch ging ich regelmäßig zu Wolfgang, jeden zweiten Samstag im Monat. Das Menü variierte, je nach Jahreszeit und Lust. Manchmal gab es zum Beispiel Kasseler Kamm mit Bratkartoffeln oder auch Kohlrübensuppe. Dazu servierte er immer Rotwein, während im Hintergrund Musik von alten Schallplatten lief, meistens Jazz.
Wolfgang, der eigentlich aus gesundheitlichen Gründen nicht hätte trinken sollen, leerte meistens zwei Flaschen in drei Stunden. Er selbst definierte sich als Gesellschaftstrinker, tatsächlich aber war er, außer wenn Mädchen zu ihm kamen, immer allein. Er hörte oft Opern auf Kassetten und erinnerte sich an die Zeiten, als er jeden in der Staatsoper Unter den Linden mit Vornamen kannte und nach der Vorstellung eingeladen wurde, mit dem Ensemble Sekt zu trinken. »Damals konnte man sich die Karten noch leisten«, schimpfte er dann, seine große, schiefe Nase wurde weinrot, und er begann eine Tirade über die Scheißregierung von heute, die dem Volk nur die Kohle aus der Tasche zöge.
Das Beste an Wolfgang war aber, dass er, abgesehen von seinen Monologen über Politik, wirklich zuhören konnte. Da er beim Sex sowieso keinen hochbekam, ließ er es sich immer mit der Hand machen, was etwa fünf Minuten dauerte. Die restliche Zeit fragte er mich über mein Leben aus, meine Freundschaften oder was ich über dieses und jenes dächte. Obwohl er mir jedes Mal nur hundert Euro für vier Stunden gab, ging ich gerne zu ihm.
Ladja ahnte nicht, dass ich mich regelmäßig mit einem Kunden traf. Seitdem ich in der »Oase« angefangen hatte, hatte er von meinem Leben außerhalb unserer vier Wände sowieso keinen blassen Schimmer. Er hing meistens mit denJungs aus dem »California« rum und verbrachte seine Zeit zu Hause vor dem Rechner oder dem Fernseher. Darüber, wie mich meine Arbeit oft ankotzte, konnte ich sowieso nicht mit ihm reden. So entfernten wir uns immer weiter voneinander, ohne es richtig zu merken.
Von meinem Studium wusste er auch nichts, obwohl ich mich oft bei
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