Fucking Berlin
Job suchen musste. Für diese Erkenntnis genügte ein Blick auf den Kontoauszug: Etwas über einhundert Euro besaß ich noch – das reichte mit Müh und Not für eine Woche. Meine Verdienste aus Bayern waren in die Mietkaution für die neue Wohnung und für den Umzug geflossen und auf Ladja setzte ich wenig Hoffnung.
In einem Bordell zu arbeiten kam eigentlich nicht mehr in Frage. In meinem Zustand mit fremden Männern zu ficken war zwar das Letzte, worauf ich momentan Lust hatte, außerdem hatte ich viel zu viel Angst, mein Kind zu verlieren. Doch dann fiel mir ein, dass man in einem Massagesalon durchaus auch Geld verdienen konnte, ohne sich poppen zu lassen – man konnte sich ja darauf beschränken, dem Mann am Ende der Massage lediglich einen runterzuholen. So habe ich angefangen, dachte ich, und so soll meine Karriere im Rotlichtgewerbe von Berlin auch zu Ende gehen. Ich redete mir ein, dass ich dies alles letztlich für mein Kind tat. Ich wollte ihm schließlich etwas bieten können: ein hübsches Kinderzimmer, schöne Kleidung und Spielzeuge.
Ich begutachtete mich in meinem Schlafzimmerspiegel. Keine Rundung deutete sich an, dafür war es immer noch zu früh, ich war erst am Ende des dritten Monats. Meine Brüste waren allerdings so angeschwollen, dass man hättedenken können, ich hätte mir Silikonimplantate einsetzen lassen. Sicherlich kannst du noch ein, zwei Monate jede Menge Knete machen, sagte ich mir. Dann hörst du auf und konzentrierst dich auf dein Studium, bis das Kind da ist.
Gerne hätte ich es gehabt, wenn sich in dieser Situation ein Mann um mich gekümmert hätte – ein starker Mann, der einen Arm um meine Schulter gelegt und mich gefragt hätte, was ich heute Abend essen wollte. Der mich mit dem Auto zu einem schönen Restaurant am See gefahren hätte und mit mir zusammen in ein Babygeschäft gegangen wäre, um schöne Strampler und Kuscheltiere auszusuchen. Ich schaute auf Ladja, der gerade Socken in den Wäschekorb sortierte und dabei eine Zigarette rauchte. Auf seine Weise liebte er mich, doch er war viel zu schwach, um mich und sein ungeborenes Kind zu schützen. Ich musste, wie auch immer, alleine klarkommen.
Der Massagesalon in Lichterfelde, den ich mir schließlich aussuchte, sah tatsächlich mehr nach Wellness als nach Rotlicht aus. Als ich kam, zündete die Besitzerin gerade Räucherstäbchen an, dünne Rauchschwaden stiegen auf und verbreiteten einen angenehmen Zimtduft. Die Wohnung war groß und hell, auf dem Dielenboden im Durchgangszimmer lagen viele mit orientalischen Mustern bestickte Kopfkissen aus Seide, in der Mitte der Sitzecke stand ein Kerzenleuchter aus Messing. Die anderen drei Zimmer waren auch stilvoll eingerichtet, jeder Raum hatte eine einheitliche Farbe für Bettwäsche, Gardinen und Handtücher.
In dem Laden arbeiteten immer nur zwei Frauen pro Schicht. Der Vorteil davon war, dass man so leichter als in der »Oase« Geld verdienen konnte, weil die Konkurrenz fehlte. Es kamen zwar nicht so viele Gäste, aber die Preise waren höher als in der »Oase«, so dass ich am Ende einerSchicht nie weniger als hundertfünfzig Euro zusammenhatte.
Das Betriebsklima glich eher einem Yoga-Studio, was mir gefiel. Die Besitzerin nannte sich Shiva, war allerdings Deutsche. Sie machte einen sehr aufgeräumten, ordentlichen und entspannten Eindruck. Sie hatte jahrelang als Masseurin gearbeitet und eine entsprechende Ausbildung dafür. In ihrem »Massagetempel« – so hieß der Laden – fühlte ich mich auf Anhieb wohl, auch, weil die Gäste gepflegt und die Kolleginnen nett waren.
Trotzdem musste ich noch oft an die mit Karten, Tratsch und Sekt gefüllten Nachmittage in der »Oase« denken und merkte, dass ich die Mädchenclique ganz schön vermisste. Ich telefonierte manchmal mit Jana, die inzwischen in einem anderen Puff arbeitete, und mit Vera, die nun bei ihrem Freund im Solarium an der Kasse stand und sich tierisch langweilte. Lena schmiedete Pläne, eine Disko zu eröffnen, doch sie hatte noch nicht das nötige Kleingeld zusammen und kümmerte sich im Moment nur um ihre Kinder.
Irgendwann kam ich nicht mehr drum herum, Shiva zu gestehen, dass ich schwanger war. Sie war gerade dabei, einen Apfel zu schälen, und ließ erschrocken das Messer fallen.
»Im Ernst?«, fragte sie »Und wie lange willst du noch hier bleiben? Und im wievielten Monat bist du überhaupt?«
»Am Anfang des vierten«, erzählte ich ruhig. »Ich arbeite nur noch ein paar Wochen, bis ich
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