Führe mich nicht in Versuchung
blickte unglücklich auf ihren Bruder hinab, während sie ihm das Haar aus der Stirn strich und ihre Finger vorsichtig über die dunklen Ringe unter seinen Augen gleiten ließ. Sie liebte ihn so sehr, und er quälte sich schrecklich. Genauso schrecklich, wie Max es wohl auch jetzt tat.
Sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, erhob sich und eilte in ihr Zimmer zurück.
Jillian schloss die Tür und sank in den nächsten Sessel. Sie konnte es nicht ertragen, dass Damien sich betrogen fühlte, dass er glaubte, niemandem mehr trauen zu können. Dies fügte ihrem Herzen eine weitere Wunde zu. Und wie immer, seit Max verschwunden war, flüchtete sich ihr Verstand wenn der Schmerz zu schlimm wurde in die Erinnerung an die beeindruckendste Erfahrung ihres Lebens.
Max hatte sie geküsst.
Oh Gott, dieser Kuss. So oft sie auch schon von solch einem Moment geträumt hatte, so hätte sie doch niemals gedacht, dass er derart wunderbar, derart magisch sein würde. Wenn es nach ihr ginge, hätte er niemals aufhören sollen. Selbst jetzt noch prickelten ihre Lippen bei der Erinnerung an seinen Mund, der den ihren bedeckte.
Dann war Damien ins Zimmer getreten, und der Traum hatte sich in einen Alptraum verwandelt.
Es war alles ihr Fehler. Sie hätte niemals allein auf den Balkon hinausgehen sollen. Niemals Maxens Warnung ignorieren und ihn küssen sollen. Und doch war er ebenso atemlos und voller Begierde gewesen wie sie.
Und nun würde sie seine Arme wohl nie mehr um sich fühlen.
Sie wischte sich ungeduldig eine Träne von der Wange und sprang auf die Füße, um den Raum mit hastigen Schritten zu durchqueren. Weinen half nichts, wenn es so viele Gedanken zu ordnen und so viele Dinge zu verstehen galt.
Das war das Problem. Sie verstand nichts von den Problemen, die ihr durch den Kopf gingen und sich zu einem hoffnungslosen Knoten ballten. Ihre Gedanken schossen erst in die eine, dann in die andere Richtung.
Man hatte sie kompromittiert.
Max war verbannt worden.
Damien war sturzbetrunken.
Verdammt! Wenn sie die Dinge nicht selbst in Ordnung brachte, würde es niemand tun.
Aber ihr fiel keine andere Lösung ein als eine Heirat mit Max. Sie blieb abrupt stehen. Eine Heirat ... mit Max. Wenn sie und Max auf legale Weise verbunden wären, müssten Damien und Max wieder Freunde sein und alles wäre wieder beim alten. Die ideale Lösung.
Und doch hatte Max ihr deutlich gemacht, dass dies das Letzte war, was er wolle.
Sie wünschte inzwischen beinahe, dass jemand sie auf der Terrasse gesehen hätte, aber das war wohl nicht der Fall - ein wahres Wunder unter diesen Umständen. Aber so sehr sie sich auch nach Max sehnte dies war nicht die Art und Weise, auf die sie ihn haben wollte. Sie sehnte sich nach der Erfüllung ihres Traumes - ein Max, der sie ebenso sehr liebte wie sie ihn ... ein Max, der um ihre Hand anhielt ... ein Max; der sie für den Rest ihres Lebens liebte. Aber Max und Damien hatten ihre Hoffnungen darauf, dass sich alles jemals so entwickeln würde, zunichte gemacht … es sei denn, sie wäre tatsächlich kompromittiert.
Aber das war sie nicht.
Noch nicht.
Der Gedanke kam ihr wie ein Blitz und durchbrach das Durcheinander in ihrem Kopf. Wie simpel es doch war! Sie sank erstaunt in ihren Sessel zurück. Es gab mehr als nur einen Weg, ihren Traum wahrzumachen.
Es hing alles davon ab, was ihr wichtiger war - ihre Reputation oder ihre Zukunft, ohne Max zu leben, oder mit seiner Wut. Aber Max war noch nie lange wütend auf sie gewesen. Die Wahl war einfach. Das Opfer gar kein Opfer. Ihre Reputation war ein kleiner Preis, wenn es darum ging, ein Leben lang als Frau an Maxens Seite verbringen zu können.
Es war ihre einzige Chance, Max zu bekommen ... ihre Familie intakt zu halten ... Noch wichtiger aber war, dass sie wirklich glaubte, dass sie und Max zusammengehörten.
Jetzt, da sie wußte, was zu tun war, lachte sie erleichtert auf. Sie eilte in ihr Ankleidezimmer und tauschte ihr Nachthemd gegen ein einfaches, dunkles Kleid.
Als sie den Haufen grüner Seide auf dem Boden erblickte, eine sichtbare Erinnerung an das, was in dieser Nacht verloren gegangen war, verharrte sie für einen Moment. Da war zum einen die Freundschaft zwischen Max und Damien, die ein Grundstein ihres Lebens gewesen war. Zum anderen das Vertrauen, das sie sich alle drei entgegengebracht hatten. Der Mut drohte sie zu verlassen, und Panik überkam sie. Sie war dabei, ihren Bruder und den Mann, den sie liebte, zu betrügen. Die Gefahr
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