Fuehrungs-Spiel
Abwechslung. Ausführlich schildere ich diese Methode im zweiten Kapitel im Abschnitt »Planen: Flexibel sein durch Akribie«.
Erst sehr viel später wurde mir klar, dass ich diese hoch perfektionistische Vorbereitung unterbewusst auch von meinen Schützlingen erwartete, so auch von den Spielerinnen und Spielern in Krefeld – und damit Ansprüche stellte, die sie schlichtweg nicht erfüllen konnten. Hockeytrainer sein, für mich war das eine Lebensaufgabe, die Jugendlichen aus Krefeld aber gingen noch zur Schule oder waren in der Ausbildung. Hockey war für sie eine Freizeitbeschäftigung, der sie engagiert und durchaus ehrgeizig nachgingen – für ihr restliches Leben allerdings hatte dies vermutlich eine eher untergeordnete Bedeutung. Das ließen sie mich bei jeder Gelegenheit spüren, manchmal kam es auch zu offenen Beschwerden über die Härte meines Trainings, vor allem aber auch über die Verbohrtheit des sturen Westfalen, der sein Innenleben offenbar hinter lauten Kommandos verbarg. Außerdem merkte ich, dass mein Vorsatz, jeden Spielzug bis ins kleinste Detail vorgeben zu wollen, die Kreativität der Jugendlichen im Keim zu ersticken drohte – und die Freude an ihrem Sport dazu. Ich spürte das, und es verunsicherte mich zusehends. Natürlich tat ich alles, um diese Verunsicherung zu verbergen – und provozierte so nur noch mehr Missmut. Als ich wieder einmal vor einem Spiel in der Mannschaftssitzung jedes noch so kleine Detail vorbetete, platzte einem der A-Jugendlichen der Kragen: »Du erzählst doch immer das Gleiche, da hört doch keiner zu!« Ich war zutiefst erschüttert. Wobei mir nicht klar war, was mich mehr schockierte: der Tabubruch meines Spielers oder der Umstand, dass ich die Stimmung in der Mannschaft so falsch eingeschätzt hatte. Im Freundeskreis beschwerte ich mich dann heftig über das, was ich erlebt hatte: »Ich habe an der Trainerakademie eine Ausbildung zum Trainer im Leistungssport erhalten, ich bin kein Sozialarbeiter.« Welch ein Satz! Erst Jahre später erkannte ich, dass die soziale Kompetenz eines Trainers für den Erfolg seiner Arbeit weitaus wichtiger ist als alle Sprint-Kommandos, Video a nalysen und Taktik-Varianten zusammen.
Doch bei allem Widerstreit – eines verband mich mit meinen Spielerinnen und Spielern: Wir wollten unbedingt erfolgreich sein. Dafür gingen wir alle bis an unsere Grenzen – und wurden bei der A-Jugend mit einem nie für möglich gehaltenen dritten Platz bei den Deutschen Meisterschaften belohnt. Dieser Erfolg war für mich ein Schlüsselerlebnis, hatte doch diese Konstellation im Verhältnis zwischen meiner Mannschaft und mir als Trainer etwas Prototypisches: Auch später klagten fast alle meine Spieler über meine zu harten Übungen auf dem Trainingsplatz und rühmten gleichzeitig meinen bedingungslosen Einsatz, die penible Planung und mein emotionales Engagement – nicht zuletzt für ihr persönliches Fortkommen. Fast alle meine Teams hatten zunächst Schwierigkeiten mit meiner verschlossenen, bisweilen sturen Art und verstanden doch, dass dies nichts mit Abgrenzung oder gar mangelndem Respekt zu tun hatte. Sie spürten, und einige von ihnen sagten es mir im Lauf meiner Karriere auch: Sie konnten von mir lernen, weil auch ich bereit war, von ihnen zu lernen. Ich weiß wirklich nicht, wer von dieser Partnerschaft in all den Jahren mehr profitiert hat, die Spieler oder ich. Der dritte Platz mit der A-Jugend des CHTC Krefeld 1983 war jedenfalls für mich der erste wichtige Beleg dafür, dass dieses komplizierte, zerbrechliche Beziehungsgeflecht zwischen mir und meinen Spielern letztlich doch zu großen Erfolgen führen konnte.
Dies schien auch anderen aufzufallen. So auch Paul Lissek, Trainer der deutschen Junioren n ationalmannschaft und damals einer meiner Ausbilder an der Kölner Akademie. Vor allem aber war er: mein Vorgänger. Von ihm übernahm ich nicht nur die Junioren, sondern später auch die A-Nationalmannschaft. Die erste Begegnung mit ihm war sicher eine der entscheidenden für meine Karriere. Lissek war ein Perfektionist, ein Pedant, ein genialer Analytiker. Jener Lissek also war offenbar aufmerksam geworden auf meine erfolgreiche Arbeit in Krefeld und fragte mich eines Tages, ob ich als Co-Trainer bei der A-Jugendnationalmannschaft mitarbeiten wollte. Schon wenig später erhielt ich ein weitaus umfangreicheres Angebot des Deutschen Hockey -B undes: Ich sollte Trainer der Nationalmannschaft der Juniorinnen werden. Am 1. Oktober
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