Fuehrungs-Spiel
kompromisslos, zügig und zielstrebig abgeschlossen. Damit hatten sie mich, den großen Planer und Strategen, rasant ausgekontert. Und so analysierten wir statt der Fehler des letzten Spiels die Fehler des Trainers. Die Methode war uns allen bestens vertraut: fordernd, ausgiebig, pedantisch, ergebnisorientiert.
Vielleicht war dies eine meiner wichtigsten Mannschaftssitzungen überhaupt. Jedenfalls gilt das für mich als Trainer. Ich hatte meine Lektion gelernt und bemühte mich fortan, zunächst sicher etwas tapsig, um eine gewisse Nähe zu meinen Spielerinnen. Betrachtet man die sportliche Entwicklung, schien dies jedenfalls kein ganz falscher Weg zu sein: Nach dramatischen Spielen standen wir 1989 im Finale der Juniorinnen-WM in Kanada. Der Gegner hieß Korea und war hoher Favorit auf den Titel. Meine Spielerinnen jedoch wuchsen in allen Bereichen über sich hinaus, und wir schlugen die Koreanerinnen mit 2 : 0 – und wurden Weltmeister.
Doch schon bald, sehr bald, wartete die nächste Lektion auf mich. Zunächst einmal wurde aber der Sieg mit den Juniorinnen belohnt. Und zwar mit einer Beförderung: Ende des Jahres 1989 übernahm ich von Paul Lissek die Nationalmannschaft der Junioren. Dies war, ich sage das mit ganz großem Respekt vor den Leistungen meiner ehemaligen Spielerinnen, für mich eine ganz neue Herausforderung: War doch das Spiel der Männer wesentlich schneller, taktisch variabler – und bot daher für den Trainer ungleich mehr Möglichkeiten einzugreifen. Zunächst jedoch brachte der neue Job für mich eine für mein Trainerleben weitreichende, ja vielleicht sogar schicksalhafte Begegnung. Während des ersten Sichtungsturniers, das ich als Junioren t rainer in Ludwigsburg besuchte, fiel mir auf dem Platz ein groß gewachsener, robuster Spieler auf, der – trotz auffälliger technischer Mängel – auf dem Platz eine enorme Ausstrahlung entwickelte. Es handelte sich um den 18-jährigen Florian Kunz aus Leverkusen. Wir beide ahnten nicht, dass wir in den kommenden 13 Jahren fast alle Höhen und Tiefen miteinander durchleben würden, die in einer Beziehung zwischen zwei Sportlern denkbar sind. Kunz, den wir alle trotz seiner beachtlichen Statur nur Flo nannten, wurde dabei nicht nur zu einem meiner wichtigsten Spieler, er wurde über die Jahre, neben Philipp Crone, zu einer Art Spiegel für mich und meine Arbeit. An seinen Reaktionen konnte ich ablesen, wie es um das Innenleben der Mannschaft bestellt war, er kritisierte mich, wann immer er das für angemessen hielt, und ich setzte vieles um. Er war ein Vorbild an Disziplin und doch nie blind gehorsam, er lief im Training voran und war doch kein Streber. Nur deshalb, und dies ist vielleicht sein größtes Verdienst, war er in der Mannschaft geachtet und beliebt, nicht weil, sondern obwohl er, später dann auch als Mannschaftskapitän, näher an mir, dem Trainer, war als die anderen. Kurz: Kunz war das, was man sich idealerweise unter einem Führungsspieler vorstellt.
Seinen ersten Einsatz als Führungsspieler hatte Flo schon bei der ersten wichtigen Bewährungsprobe, die wir gemeinsam mit den Junioren zu bestehen hatten: die Europameisterschaft 1992 in den Niederlanden. Das Team, das ich ja bereits seit über zwei Jahren führte, war stark, zwei der Spieler waren in Barcelona mit der Herrenmannschaft einige Wochen vorher Olympiasieger geworden. Wir waren Favorit – und verloren das Halbfinale nach großem Kampf gegen die Niederländer mit 1 : 2. Für mich brach eine Welt zusammen. Das erste Turnier als Juniorentrainer hatte statt des ersehnten Titels eine bittere Halbfinalniederlage gebracht. Ich hätte im Erdboden versinken mögen, musste jedoch vor der Mannschaft Haltung zeigen, schließlich gab es noch das Spiel um den dritten Platz. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, den altersbedingt ausscheidenden Spielern schon nach dem Halbfinale mit einem Abschiedsgeschenk persönlich zu danken. Das war zu viel für meine aufgeraute Seele: Vor versammelter Mannschaft weinte ich hemmungslos.
Ein Trainer, der schon nach der ersten wichtigen Niederlage losheult? War es das, was sich die ehrgeizigen, durchweg intelligenten und selbstbewussten jungen Spieler vorgestellt hatten? Sie gaben die Antwort schon einen Tag später. Kunz hatte die Mannschaft ohne mein Wissen bei einer Kiste Bier auf das Spiel um den dritten Platz eingeschworen. Was in dieser Runde genau gesprochen wurde, weiß ich bis heute nicht, jedoch erzählten mir einige Spieler später, dass
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