Fuehrungs-Spiel
1985 war ich dann Hockey b undestrainer. Im besten Alter von 25 Jahren war ich der jüngste Bundestrainer im gesamten deutschen Leistungssportbereich.
Ich sollte es über 20 Jahre lang bleiben, erfüllte Jahre, oft wahnsinnig anstrengende Jahre, voller Glücksgefühle und einiger Talsohlen. Vor allem aber gaben diese 20 Jahre mir die Gelegenheit zu lernen: über unseren Sport und seine Entwicklung – vor allem aber über Menschen und die Arbeit mit ihnen. Über meine Wirkung auf sie und ihre auf mich, über Möglichkeiten, sie zu führen und mich von ihnen führen zu lassen. Ich lernte, sie anzutreiben und zu motivieren, hart zu sein und Härten zu ertragen, Gefühle zu zeigen und sie von anderen anzunehmen, auch wenn Gefühle im Sport wie im Leben die eine oder andere Situation komplizierter machen. Rückblickend kann ich sagen, dass es die Arbeit mit Menschen war, nicht die mit dem Ball, die meinen Beruf im Kern ausgemacht hat, bei aller Leidenschaft für »Eckenvarianten« oder diszipliniertes Abwehrverhalten. Und ich bin ganz sicher, dass es diese Arbeit mit und an den Emotionen war, die unsere Mannschaften oft genug um das kleine, entscheidende Stück besser und erfolgreicher machte.
Es gab in diesen 20 Jahren eine ganze Reihe von Situationen, an denen sich beschreiben lässt, dass e motionale Führung eben kein – wie so oft behauptet wird – weicher, sondern ein in vielfacher Hinsicht extrem harter Faktor für erfolgreiches Führen ist. Hart deshalb, weil es von Führendem und Geführten ein ungleich höheres Maß an Offenheit und damit auch an Angreifbarkeit und Verletzbarkeit verlangt – nicht eben das, was dem landläufigen Bild einer »starken« Führungsfigur entspricht.
Sehr deutlich wurde dies bereits bei meiner ersten Station als Bundestrainer, bei der Arbeit also mit den Juniorinnen. Ich versuchte, mit den Spielerinnen genauso umzugehen wie mit ihren männlichen Kollegen. Ein nicht alltäglicher Ansatz. Mein Training war genauso hart, meine Vorgaben genauso pedantisch. Spielerinnen, die meinen Anforderungen nicht gewachsen waren, schieden aus dem Kader aus. Jene, die es schafften mitzuhalten, wuchsen allerdings immer mehr zu einer verschworenen, selbstbewussten Gemeinschaft zusammen, die sich durchaus auch gegen den Trainer positionieren konnte – und zwar auch auf reichlich subtile Art und Weise. Ich erinnere mich an eine Szene während der Vorbereitung auf die WM 1989 in Kanada. Durch mein ständiges Nörgeln strebte die Stimmung zielsicher Richtung Nullpunkt. Da schlug die Stunde der jungen Spielerinnen: Ich hatte gerade wieder einmal das Lauftraining über das ohnehin schon hohe Maß hinaus verlängert, da gab Eva Hagenbäumer, die Mannschaftsführerin, ihren Kolleginnen ein Signal. Plötzlich umkreisten die Spielerinnen nicht mehr das Spielfeld, sondern in immer kleineren Kreisen: mich. Jetzt wurde es, im wahrsten Sinne des Wortes, eng für den Trainer. Es gab kein Entkommen. Die Mädchen lachten und feixten und erhofften sich von mir ein erwiderndes Lächeln. Ich aber konnte nicht über meinen Schatten springen. Mit jeder Runde wurde die Situation unangenehmer. Ich war definitiv nicht bereit und in der Lage, über mich zu lachen.
Wie auch? Als Trainer hielt ich es für meine oberste Pflicht, mit harter Arbeit an Taktik, Technik und körperlicher Fitness das Spiel meiner Mannschaft zu verbessern, Veränderungen des psychischen, emotionalen Zustands der Gruppe nahm ich nur ganz am Rande wahr oder verdrängte sie komplett. Sie könnten doch meinen genau ausgetüftelten Leistungsfahrplan stören. An diesem Prinzip änderte ich auch nach dem gruppendynamischen Erlebnis des umzingelten Trainers nichts. Ich ging davon aus, dass das Gewitter vorüberziehen würde. Ich hätte es besser wissen müssen. Die Spielerinnen ließen nicht locker und fuhren jetzt, nachdem sie ja zunächst spielerisch versucht hatten, mich auf meine Defizite hinzuweisen, einen härteren Kurs: Nach dem nächsten Training hatte ich eine Videositzung angesetzt, zur intensiven Fehleranalyse des letzten Spiels. Ich hatte alles perfekt vorbereitet. Als ich beginnen wollte, ergriff eine der Spielerinnen das Wort. An ihrem Tonfall war schon zu erkennen, dass es diesmal nicht die Zeit war für Scherze: Ob ich denn nicht wahrnähme, wie angespannt und negativ die Stimmung im Team sei, fragte sie mich mit klarer Stimme vor versammelter Mannschaft. Das war ein Angriff, vorgetragen, wie sie es für ihren Sport von mir gelernt hatten:
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