Fuehrungs-Spiel
Kinder auch daran gelegen haben, dass ich wusste, dass zu Hause eine ganz andere emotionale Befriedigung auf mich wartete.
Viel wichtiger, als die eigenen Emotionen zu kontrollieren, ist es aber, den Erfolg, wie man so schön sagt, richtig einzuordnen. Jeder genießt Anerkennung, öffentliche zumal. Nach großen Erfolgen stand bei mir das Telefon nicht still, füllte sich der Mail-Briefkasten. Private Gratulanten und öffentliche Beifallsbekundungen wechselten sich ab. Doch ich lernte, aus diesen Botschaften das für mich Wichtige herauszufiltern. »Super Leistung!« – »Klasse gemacht!« Diese gut gemeinten, aber schon in der Wortwahl nicht wirklich differenzierten Äußerungen ordnete ich für mich ganz persönlich ein: Nicht der Erfolg als solcher war für mich wertvoll, sondern der Weg dorthin. Siege waren für mich deshalb so genugtuend, weil ich sie als Bestätigung meiner langfristigen Überlegungen und nicht vorrangig des gewonnenen Finales betrachtete. Und letztlich ist auch das Lob derjenigen entscheidend, die genau diese Ebene mit ihrem Zuspruch meinen.
Und doch, ich gebe es gerne zu: An den Morgen nach Siegen lese ich auch heute noch jede Zeile in den großen Zeitungen, spiele mir die entscheidenden Tore und unsere Jubelszenen immer wieder vor. Oft habe ich früher, wenn ich die ausgelassenen Spieler und den eher in sich gekehrten Trainer sah, gedacht: Jeder hat seine Art, loszulassen. Und war mir fast sicher, dass ich, ohne dass man es von außen sah, vielleicht das viel tiefere Glücksgefühl empfand als die feiernden Spieler.
Risiko Erfolg: Besonders Sieger müssen lernen
In meinen 21 Trainerjahren beim Deutschen Hockey-Bund habe ich bei den 22 großen Turnieren, an denen meine Mannschaften teilnahmen, also Europameisterschaften, Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen, immer eine Medaille gewonnen. Immer waren wir mindestens dritter, elf Mal standen wir ganz oben mit der Goldmedaille auf dem Treppchen. Ich war wie besessen davon, das Finale zu gewinnen, schon der zweite oder dritte Platz hat oft sehr wehgetan.
Nach dem Genuss des Erfolgs, wie ich ihn im vorherigen Abschnitt beschrieben habe, setzte aber meistens ziemlich rasch eine Phase der Um- und Neuorientierung ein. Die drängenden Fragen lauteten: Wie können wir jetzt weitermachen? Wie können wir noch besser werden? Sie drängten auch nach großen Siegen wie jenem bei der Weltmeisterschaft 2002, sie drängten gerade nach großen Siegen. Ich empfand meine Arbeit als Trainer als die eines Zuspielers. Eines Zuspielers allerdings, der nicht am immer gleichen Punkt verharrt, sondern der seine Zuspiele variiert und optimiert: Der Hockeysport entwickelte sich weiter, meine Spieler entwickelten sich weiter, also wollte auch ich mich entwickeln, ich wollte in Zukunft nicht so coachen wie beim letzten Sieg, sondern ich wollte mich genauso wie das Team immer neu herausfordern.
Siege und die absolute Willenskraft, gewinnen zu wollen, sind der Kraftstoff im Tank eines jeden Sportlers. Wer nicht gewinnen will, sollte kein Leistungssportler werden. Mein Kapitän Florian Kunz sagte mir einmal: »Ich weiß, dass ich kein genialer Hockeyspieler bin, für diesen Moment des Sieges allerdings lohnt es sich, alles zu geben.« Der »Moment des Sieges«! So hatte es Kunz gesagt und wusste wahrscheinlich gar nicht, wie präzise er formuliert hatte. Denn Siege leben in und für den Moment, in dem sie feststehen. In den Sekunden, Minuten, Stunden, (wenigen) Tagen danach sind sie unendlich viel wert. Schon bald darauf jedoch, so hart es klingt, zählen sie: nichts mehr. Dieses Phänomen kennen nicht nur Sportler.
Nach Misserfolgen, nach der Phase großer Frustration, sind alle Beteiligten naturgemäß aufgeschlossen für Veränderungen und Korrekturen. Nach Erfolgen ist das nicht immer der Fall. Ein Grund dafür ist gewiss, dass es ein ungeheuer großes Maß an Selbstdisziplin und Selbstmotivation erfordert, um sich – als Sieger! – zu Veränderungen anzutreiben. Dieser Antrieb jedoch unterscheidet den einmalig erfolgreichen vom dauerhaften Gewinner. (Wo diese Selbstmotivation an ihre Grenzen stößt, das beschreibe ich im folgenden Abschnitt »Weiter! Immer weiter? Chancen und Grenzen der Selbstmotivation«.)
Bei mir persönlich war immer schon einige Zeit nach den errungenen Triumphen der Drang zu hinterfragen und zu analysieren wieder stark ausgeprägt. Warum? Der Titel war gewonnen, das Ergebnis stimmte, aber das Spiel hatte Mängel. Jedes Spiel hat
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