Fuehrungs-Spiel
Mängel! Das ließ mich nicht ruhen, wollte ich doch alle Schwachstellen erkennen, damit ich schon für das nächste Spiel, das nächste große Turnier an Verbesserungen in diesen Bereichen arbeiten konnte. An Verbesserungen bei den Spielern, an der Optimierung der Vorbereitungsphase und auch an mir selbst. Ich habe es auch nach wunderbaren Siegen als einen fortlaufenden Prozess angesehen, nach einer bewusst zugelassenen mentalen Talsohle, wieder alle Leistungskomponenten zu überprüfen, zu besprechen und oft bewusst zu verändern. Die Relativität des errungenen Erfolges war oft rasch klar. Ich wusste: Schon in absehbarer Zukunft gewinnen wir mit der Leistung von gestern keine Titel mehr. Ich schaute mir die Videobilder von unserem Finalsieg an. Sie berührten mich immer noch. Aber schon einige Wochen später wollte ich durch verbesserte Trainingsarbeit diese Spielweise weiter optimieren. Ich war nie zufrieden, ich strebte nach dem perfekten Spiel, zumindest theoretisch, und war in der Praxis doch oft so weit davon entfernt. Dieser Widerspruch macht den Beruf eines Trainers in Mannschaftssportarten aus. Wer gewinnt und sich darauf auch nur ein paar Wochen zu lang ausruht, gerät in Rückstand. Ich habe diese Verantwortung stets gespürt, ich hatte ein Zeitschema für die Phase der persönlichen Regeneration und des Genießens. Stand die nächste große Meisterschaft schon ein Jahr später an, endete diese Übergangsphase nach weniger als zwei Wochen, dann bin ich wieder »voll durchgestartet.« Ich war in gewisser Weise getrieben von diesen Gedanken an Verbesserung. Sie zu kanalisieren und aus ihnen die richtigen Maßnahmen abzuleiten ist eine der zentralen Herausforderungen an jede Führungspersönlichkeit.
Die wichtigste Aufgabe eines Trainers, einer jeden Führungsfigur ist es also, aus großen Momenten des Erfolges, aus den Momenten großer Genugtuung und Bestätigung die richtigen Schlüsse zu ziehen. Für das Team – und für sich selbst. Motor ist dabei wiederum das größte der (beruflichen) Gefühle: die Aussicht auf den (nächsten) Erfolg. Siege, die einige Zeit zurücklagen, hatten dann keine so große Bedeutung mehr für mich, sie entfernten sich relativ schnell. Im Diffusen hatte ich schöne Erinnerungen an das Gefühl eines jeden Sieges, ich war mir sicher, dass ich dieses Gefühl immer wieder neu spüren wollte. Dafür musste ich dazulernen, sonst würde ich es nie wieder erleben, so lautete meine Schlussfolgerung. Ich wusste: Nur wenn wir meine neuen Ideen schnell wieder aufnehmen, uns gezielt weiterentwickeln, werden wir dieses große Gefühl des Siegens wieder erreichen können. Dorthin wollte ich das Team wieder führen, diese Aussicht ließ mich nicht ruhen. Natürlich registrierte ich die mit jedem Sieg weiter steigende Achtung vor meiner Arbeit unter den Kollegen und in der Sportöffentlichkeit. Und natürlich stand mit jedem Spiel meine grundsätzliche Eignung als »erfolgreicher Trainer« weniger in f rage. Dennoch spürte ich bis zuletzt immer auch eine subtile Form von Angst in mir: »Wenn du dich irgendwie gehen lässt und nicht die richtigen Schlüsse zur Weiterentwicklung ziehst, wirst du beim nächsten Mal nicht ganz oben stehen.« Einmal Weltmeister geworden zu sein war für mich nicht der Beleg dafür, dauerhaft ein guter Trainer zu sein.
Entscheidend für die Weiterentwicklung des Teams ist, diese Erkenntnisse bei jedem einzelnen Mitglied zu verwurzeln. Nur wenn alle verinnerlicht haben, dass nur durch den intensiven, klugen »Blick nach vorn« dieses großartige Gefühl des Sieges wieder zu erreichen ist, kann der nächste Sieg gelingen. Genau diese Erkenntnis habe ich genutzt, um gerade nach Siegen massive Veränderungen vorzunehmen. Niemand hatte dann das Gefühl, dass diese Veränderungen strafenden Charakter hatten, alle waren (durch das Erfolgserleb nis) sicher genug, Korrekturen ohne Verlust an Selbstbewusst sein zu akzeptieren.
Was mich betrifft, so wurde ich oft gefragt: Was motiviert dich, nach deinen großen Erfolgen so leidenschaftlich an einem noch besseren Team zu arbeiten? Jeder Trainer weiß: Nichts ist älter als der Erfolg von gestern. Nichts ist motivierender als die Aussicht auf den Erfolg von morgen. Deshalb war meine Antwort: Ich will gewappnet sein, ich bin immer noch auf dem Weg, ich bin noch nicht fertig, ich will den nächsten Schritt gehen und die Bewegung spüren. Solange das Feuer brannte, so lange war ich gierig auf den nächsten Sieg.
Weiter!
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