Fuehrungs-Spiel
zwei Wochen nicht in der Lage war, mir die Videobilder dieser schlimmen Niederlage anzusehen, schon beim Gedanken an dieses Spiel und mein Verhalten nachher hatte ich intensive somatische Schmerzen.
So beschloss ich nach langen, zum Teil auch kontroversen Diskussionen mit unserem Sportpsychologen, diese absoluten Abstürze, das Zerfressen-Werden durch Niederlagen aktiv zu bekämpfen. Immer mehr versuchte ich auch mit professioneller Hilfe, in mich reinzuhören, mich selber kennenzulernen. Meine Mitarbeiter machten mir klar, dass ich nicht allein verantwortlich war für diese Niederlagen, im Gegenteil, dass ich viele Bereiche, die ich zu verantworten hatte, sehr gut vorbereitet hatte. Es war ganz wichtig, dass ich mich öffnete, die Niederlage nicht in mich hineinfraß. So begann ich mit meinen erfahrenen Führungsspielern und den Mitgliedern meines Teams über ihre Sicht auf Niederlagen zu debattieren, habe ihre Eindrücke in diesen schwierigen Momenten mehr an mich herangelassen als in den ersten Jahren meiner Trainerlaufbahn. Die Möglichkeit des Austauschs wirkte auf mich dann wie ein Ventil. Die Gewissheit, dass auch andere sich für die Niederlage verantwortlich fühlten, relativierte meine eigenen extremen Gefühle.
Der Umstand, dass andere fühlten wie ich, hätte allein wenig geholfen, schließlich waren meine Gefühle echt und authentisch. Und Gefühle, und seien sie noch so unpassend in diesem Moment, lassen sich, wie im richtigen Leben, nun mal nicht per Beschluss einfach verbannen. Wie habe ich das also hinbekommen in den weiteren Jahren, bei unverändertem emotionalem Engagement trotzdem kontrollierter aufzutreten? Ich versuchte für meine Gefühlsebene Schlüsselsätze zu finden, die mir nach heftigen Niederlagen guttaten. Ich spürte, dass es gut war für meinen Körper und meine Psyche, wenn ich die Gründe der Niederlage weniger nur bei mir suchte, wenn ich buchstäblich anhörte, dass ich alles versucht hatte, um die Mannschaft gut einzustellen. So sprach ich Sätze wie diesen vor mich hin: »Ich habe es mit allem, was ich habe, versucht. Es ist schiefgelaufen, es ist entscheidend, jetzt ruhig zu bleiben.« Wichtiger als die Weigerung, allein schuldig zu sein, war jedoch der Appell an die Erinnerung an ähnliche erfolgreich bewältigte Situationen: »Das hast du alles schon oft erlebt, wenn du morgen ausgeschlafen bist, sieht das wieder anders aus, wir werden das packen, das kann dir, wie beim letzten Mal, nichts mehr anhaben. Du bist schon oft aus heftigen Niederlagen gestärkt herausgekommen.«
Es tat mir gut, wenn ich mir unmittelbar nach einer Niederlage ein gewisses »Scheißegal-Gefühl« erlaubte oder sogar einredete, um mich vor meinen eigenen Gefühlen abzuschotten. Sonst wäre ich vermutlich aus dieser »psychologischen Gletscherspalte« nicht wieder herausgekommen. Ich fühlte, dass es mir in einigen unbeobachteten Situationen, beispielsweise im Gespräch mit meiner Frau, den Teampsychologen oder vertrauten Menschen aus dem Mitarbeiterstab wie meinem Torwarttrainer Bernd Schöpf echt gut ging. Da musste ich nicht stark sein wie schon bald wieder vor dem Team, sondern konnte über meine komplette Erschöpfung nach einer Niederlage reden. Trotz aller Selbstkritik, die natürlich auch in diesen Situationen der Geborgenheit nicht völlig auszublenden war, war ich nicht mehr bereit, mich richtig schlechtzumachen.
Zusätzlich zu diesen mentalen Trainingsformen arbeitete ich daran, nach Niederlagen bewusster mit meinem Körper umzugehen. Frühes Schlafengehen, möglicherweise unterstützt durch ein oder zwei Bier, ein gutes, genussreiches Essen, ein faches Dösen vor dem Fernseher, ein gutes Gespräch zu einem ganz anderen Thema oder ein ruhiger 45-minütiger Lauf am nächsten Morgen ließen die deprimierenden Gedanken verfliegen. Diese bewussten Regenerationsmechanismen zeigten nach Niederlagen besondere Wirkung. So weit zur Verarbeitung von Niederlagen.
Doch wie bei den Niederlagen lernte ich mit der Zeit auch bei den siegreichen Spielen, die ungefilterten Gefühlsausbrüche zu reduzieren. Recht schnell nahm ich nach dem ersten gemeinsamen Jubel bewusst die Position des Beobachters ein – der Mannschaft, aber auch meiner selbst. Nachdem ich zu Beginn meiner Laufbahn wenig über die Nachbearbeitung auch von Siegen nachgedacht hatte, entwickelte ich im Lauf der Jahre die Fähigkeit, diese besonderen Momente besonnen und doch voller Erfüllung zu genießen. Das mag seit der Geburt meiner
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