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Fuehrungs-Spiel

Fuehrungs-Spiel

Titel: Fuehrungs-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Peters , Hans-Dieter Hermann , Moritz Mueller-Wirth
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Gefühlen gehorcht. Das erfordert Aufklärung in eigener Sache, erfordert, sich kritisch mit den eigenen Emotionen zu befassen und diese zu bewerten. Dies gehört zu den schwierigsten Pflichten eines Trainers, eigentlich jedes Menschen, der mit anderen Menschen und somit zwangsläufig auch mit deren Gefühlen befasst ist. Und genau um diese Gefühle soll es hier gehen.
    Fast alle meine Teams waren bei wichtigen Meisterschaften stets gut in Form. In den Phasen dazwischen gab es heftige Talsohlen mit harten Niederlagen. Ich erinnere mich, dass ich mich in den ersten Jahren meiner Laufbahn als Trainer massiv in f rage stellte, wenn wir Spiele verloren hatten. Auch die Angst vor einer Suspendierung als Bundestrainer schwang dabei mit. Doch wie so vieles in meiner Karriere war auch der Umgang mit Niederlagen einem permanenten Lernprozess ausgesetzt. Ich wollte und musste mich in diesem Punkt verbessern.
    Als junger Trainer erlebte ich nach Niederlagen eine totale Leere und Mattheit. Doch auch physisch zehrte der Wettkampfstress mich völlig aus. Obwohl ich ja nicht rannte, dribbelte und aufs Tor schoss wie meine Spieler, durchlitt ich jede Szene auf der Bank, als sei ich selbst auf dem Feld, schlimmer: Ich litt, weil ich nicht auf dem Feld war und nicht eingreifen konnte, vermutlich mehr als die Spieler. Ich spürte, wie mein Blutdruck in die Höhe schoss, der Puls zu rasen begann, wenn wir verloren hatten. In mir stieg eine Art absoluter Zorn auf, wahlweise über die ausgelassenen Chancen oder nicht erklärliche Schiedsrichterentscheidungen, letztlich auch über mich. Unmittelbar nach Spielende waren dies oft ungefilterte Gefühlswallungen. Ich wusste : E igentlich müsste ich mich jetzt beherrschen. Aber das gelang mir oft nicht.
    In solchen Augenblicken war ich als Trainer unausstehlich, als Führungsfigur fehl am Platz: »Du warst so schlecht und behäbig heute!«, schrie ich beispielsweise einmal unseren Kapitän Florian Kunz an, kaum war der Schlusspfiff ertönt. Ich ignorierte dabei völlig, dass auch die Spieler in einer emotionalen Ausnahmesituation waren. Es ist oft vorgekommen, dass mich Mitarbeiter aus dem Getümmel von den Spielern weggezogen haben, damit ich nicht in meiner Erregung noch mehr Porzellan zerschlug. Ich spürte, dass sich meine abgrundtiefe Enttäuschung auf die Spieler übertrug. Sie litten für sich und für mich mit. In diesen Momenten war ich den Spielern sehr nahe. Denn das notwendige hierarchische Verhältnis wurde außer Kraft gesetzt. Ich hätte Vorbild sein müssen, sie aufrichten, aber ich war dazu in diesen Momenten nicht in der Lage. Im Augenblick der größten Enttäuschung, oft noch auf dem Spielfeld stehend, rief ich meine Frau Britta an, die mit ihrer Fürsprache, die ganz meiner Person galt, meine Frustgefühle oft relativierte.
    Nach diesen unmittelbaren Gefühlsausbrüchen ging ich immer und immer wieder den Verlauf des verlorenen Spiels im Geiste und später auch auf Videomitschnitten durch, für mich alleine, aber auch mit einigen engen Vertrauten aus dem Betreuerstab. Eine Frage verfolgte mich in diesen Stunden nach dem Spiel regelrecht: Wo lagen die Ursachen für Fehlentwicklungen? Im Lauf der Zeit lernte ich, dass mein Bild vom Spiel und von wichtigen Szenen direkt nach Spielende noch diffus und durch die negativen Stressgefühle entscheidend geprägt, die objektive Sicht verdeckt und eine sachliche Analyse unmöglich war. Erst als ich, nach gebotenem Abstand von einigen Stunden, zu wissen glaubte, worin die Ursachen für den Misserfolg lagen, ging es mir besser. Manchmal war ich zu geschafft und enttäuscht, um mir die entscheidenden Szenen des Spiels schon am Abend des gleichen Tages anzuschauen. Dies zu erkennen und die entlastende Analyse auf den nächsten Morgen zu verschieben, fiel mir anfänglich sehr schwer.
    Zu einem für mich einschneidenden Erlebnis kam es im Jahr 2000, während der Junioren-EM in Madrid. Beim Finale gegen Spanien hatten wir innerhalb von zwölf Minuten eine 4 : 1-Führung noch verspielt und waren »nur« Vizeeuropameister geworden. Dies war der niederschmetternde Abschluss einer langen Arbeitsphase. Am Abend nach dem Spiel war ich definitiv nicht in der Lage, auch nur ein Wort an die Mannschaft oder den Betreuerstab zu richten. Am Madrider Flughafen verabschiedete ich mich äußerst wortkarg: Ein schwacher Auftritt. Kurze Zeit später war ich fast mehr über mich enttäuscht als über die Leistung meines Teams. Ich erinnere mich, dass ich

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