Fuehrungs-Spiel
dürfen sie ihr »Wissen« bei Top-Mannschaften weitergeben. Manchmal allerdings nur für eine ebenso kurze Zeit – schon nach ein paar verlorenen Spielen werden sie entlassen. Ihre Arbeitsbedingungen sind, jedenfalls im Profibereich, komfortabel: Ihre Spieler haben sie – zumindest theoretisch – für unbeschränkte Zeit um sich, schließlich ist Fußball deren Beruf. Doch fragte ich mich immer wieder: Nutzen die Kollegen diese optimalen Bedingungen auch, um das Beste herauszuholen, für die Vereine, für die Spieler und vor allem: für ihr eigenes Fortkommen?
Leben lernen (1): Wie ich als »Klinsmanns
Hockeytrainer« um ein Haar den deutschen Fußball ruiniert hätte
Im September 2004 studierte ich gerade zum x-ten Mal die Bilder von unserer Halbfinalniederlage bei den Olympischen Spielen in Athen, da klingelte mein Handy. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Jürgen Klinsmann. Er war seit wenigen Wochen Fußballbundestrainer. Meine Lust, mich mit unserem Ausscheiden in Athen weiter zu beschäftigen, sank noch in derselben Sekunde. Schon wenige Tage später, am 15. September, saß ich in der Lobby des Grand Hyatt Hotels am Potsdamer Platz in Berlin, war schlecht gelaunt, weil ich mein Handy im Taxi vom Flughafen liegen gelassen hatte. Da betrat Klinsmann, mit der Mannschaft vom Training kommend, die Lobby. Er kam mit diesem typischen, etwas getrieben wirkenden Gang, diesen schnellen Klinsmann-Schritten, leicht nach vorn gebeugt auf mich zu, mit dem berühmten Klinsmann-Lächeln, vielseitig einsetzbar, bei Bedarf als Abwehr-Viererkette, um dem Innenleben unnötige Treffer zu ersparen, dann aber auch als unwiderstehliche emotionale Angriffsformation, um Menschen im Sturm zu gewinnen.
Vor dem Treffen mit Klinsmann war meine Erwartungshaltung nicht besonders hoch. Ich war gespannt, eine Persönlichkeit zu treffen, von der ich viel hielt. Auch reizte mich, jene Welt des Fußballs und der Deutschen Nationalmannschaft, die ja durch die Medien wie so vieles immer wieder verzerrt dargestellt wird, einmal authentisch und direkt kennenzulernen. Doch ich wusste, als ich die Lobby des Hyatt betrat, wo ich hingehörte, wofür mein Herz schlug und wem meine ungeteilte Aufmerksamkeit gelten würde, zumindest bis zur Weltmeisterschaft in Deutschland im Jahr 2006: meinen Jungs und dem Hockey.
Für die deutsche Fußballnationalmannschaft stand das erste Heimländerspiel gegen Brasilien in Berlin an. Klinsmann hatte, nach anfänglichen Erfolgen, durch seine Trainingsmethoden erste Widerstände heraufbeschworen. So wurden die in anderen Sportarten schon lange üblichen Methoden seiner amerikanischen Fitness t rainer verhöhnt, zum Beispiel die Arbeit mit elastischen Bändern zum Aufwärmen als »Gummi t wist«. »Bernhard hat das erreicht, was wir alle zusammen noch erreichen wollen!« So stellte Jürgen mich dann auch der Mannschaft und seinen Mitarbeitern beim Mittagessen als »Weltmeister« vor. Das Lernen-Wollen, auch von fachfremden Experten, schien mir eine der zentralen Botschaften an die Nationalspieler.
Nach dem Mittagessen saß ich noch lange mit Jürgen und Joachim Löw, genannt Jogi, zusammen, ich stellte meine Arbeit vor: Per Beamer warf ich, direkt aus dem Laptop, verschiedene Trainingsprinzipien und Vorbereitungskonzepte an die Wand des Sitzungssaals, um zu zeigen, wie wir uns auf die Olympischen Spiele und die Weltmeisterschaften vorbereitet hatten. Ich redete viel über die Aufgaben meiner Kollegen aus dem Trainerstab, den Spezialisten in ihren jeweiligen Bereichen, sprach über individuelle Leistungsdiagnostik im Bereich der Athletik und die daraus resultierende Trainingsplanung. Lange schilderte ich meine Zusammenarbeit mit unserem Sportpsychologen, die akribische Arbeit mit Videomaterial zur Fehleranalyse, erzählte, dass wir für jeden Spie ler individuelle DVDs zusammenstellten, mit seinen Schwach stellen und auch mit guten Szenen. Berichtete auch, dass wir bereits in der Halbzeitpause auf Videomaterial aus der ersten Hälfte zurückgriffen, um den Spielern taktische Lösungen visuell zu erläutern. Wenn ich zu ihm hinübersah, bemerkte ich, dass Jürgen mitschrieb, manchmal schaute er auf und murmelte etwas davon, dass der deutsche Fußball »ja um Lichtjahre zurück sei«. Auf dem Weg zum Flughafen war ich ganz erfüllt von diesen Stunden.
Vielleicht schob ich meine neue und auch drängende Neugier nur beiseite, vielleicht wusste ich ganz einfach nur, dass dafür in meinem Leben erst einmal kein
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