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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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werden.
    «Bitte vielmals um Entschuldigung»,
sagte ich behutsam. «Kann ich Herrn Doktor Koch sprechen?»
    Die Dame schien ungehalten. Offenbar
war man beim Frühstück.
    «Ja, aber— worum handelt es sich denn?
Wer sind Sie?»
    Ich nannte Namen und Dienstgrad und
sagte, es handele sich um eine Patientin des Herrn Kollegen. Das war etwas
anderes. Sie wollte ihren Mann rufen.
    Während ich die Muschel zuhielt, fragte
ich Mechthild: «Alter Herr, was?»
    «Sehr. Tante Bertha wollte keinen
jungen.»
    «Haben Sie sich dort auch beworben?»
    Sie schüttelte den Kopf. Ich sagte
nicht, daß ich mir das hätte denken können.
    Aus dem Hörer kam eine Stimme, gepflegt
und sanft. Der Herr Kollege.
    Ich erzählte ihm mit knappen Worten,
was passiert war. Er schien sichtlich betroffen und wollte sofort erscheinen.
Ich dankte ihm und legte den Hörer zurück. Mechthild sah mich an.
    «Wollen Sie etwas trinken?»
    Sogar in dieser Situation dachte sie an
meinen Durst.
    «Was haben Sie denn?»
    «Kaffee dauert zu lange— aber ich kann
Ananassaft machen mit Eis— »
    «Das trinke ich gerne.»
    Als sie draußen war, kam mir ein
Gedanke. Ich zog das Telefonbuch noch einmal heran.
    Dorothea Lindemann steht nicht darin.
Das Buch war neu, von diesem Jahr. Allerhand Lindemänner, aber keine Dorothea.
Sicher hieß sie jetzt anders. Oder sie hatte kein Telefon: Ich blätterte
weiter, mit wenig Hoffnung. Bei Alma Wiebach würde es genauso sein. Wie sollte
man diese Leute noch finden nach so langer Zeit. 1910. Da war noch nichts von
mir vorhanden gewesen.
    Ich empfand einen leichten Schlag, als
ich den Namen fand.
    Alma Wiebach-Thomsen, Musikpädagogin, Beethovenstraße
6.
    Klar. Kein würdigerer Ort für eine
Musikpädagogin als die Beethovenstraße.
    Ich ließ das Buch auf meinen Knien
liegen und überlegte. Das war sie. Alma war nicht so häufig, die jungen Mädchen
von heute würden sich bedanken. Wie Mechthild.
    Ohne Zweifel hatte sie ihren
Mädchennamen beibehalten und den Namen ihres Mannes angehängt.
Musikpädagoginnen, Kinderärztinnen und Frauenrechtlerinnen haben eine Neigung
dazu, besonders wenn sie ins Parlament gewählt werden. Damit man ja keine
Zweifel hat, woher die Begabung kommt.
    Ich kritzelte die Adressen in mein
Notizbuch. Jetzt hatte ich vier. Fehlte nur die Dorothea, die noch am Leben
sein mußte.
    Als Mechthild mit dem Saft eintrat,
lehnte ich ohne Telefonbuch im Sessel und betrachtete die Bilder an den Wänden.
Ich trank, und dann schrillte die Klingel im Korridor. Ich stand auf und zog
den Schlipsknoten gerade.
    Der Doktor strahlte Würde aus wie eine
Rektorenkonferenz. Im Gegensatz zu meinem Windsorschlips trug er ein Plastron
nach Altvätersitte. Darüber ragte ein kleiner weißer Spitzbart in die Gegend.
Die Augen waren von milder Schärfe und die Haut rosig. Man konnte die Qualität
seiner Weine daran ablesen. Der altmodische Anzug fiel überhaupt nicht auf. Ein
anderer hätte nicht zu ihm gepaßt. Er hätte es sich leisten können, in der Mode
des vorigen Jahrhunderts herumzulaufen. Ganz klar, daß ich Herr Doktor zu ihm
sagen würde.
    Er gab zuerst Mechthild die Hand.
    «Kopf hoch, mein gutes Kind.»
    Dann war ich an der Reihe. Ich machte
eine Verbeugung, wie ich sie in der Tanzstunde geübt hatte, sagte meinen Namen
und drückte die Kollegenhand. Dann marschierten wir in stummer Reihe die Treppe
hinauf. Ich sah ihm zu, wie er untersuchte. Kein Zweifel, das war ihr Doktor
gewesen. Sie stammten aus der gleichen Zeit, sie hatten sich verstanden und
sich von den Blumen erzählt, die sie züchteten und unter denen sie jetzt liegen
würde.
    Er richtete sich auf und wischte ganz
leicht zwei Fingerspitzen zu seiner Nasenwurzel hin. Dann räusperte er sich.
    «Es besteht kein Zweifel, Kollega»,
sagte er. «Ich muß leider Ihre Diagnose bestätigen. Sie werden mir nicht
verübeln, wenn ich sage, daß ich es lieber nicht getan hätte.»
    Kollega.
    Die alte Form aus der Zeit, da die
Wissenschaftler noch lateinisch verhandelt hatten. Aber es war nichts
Lächerliches an seinen Worten.
    «Es wäre mir auch lieber gewesen»,
sagte ich. «Ich bedaure, daß ich nichts mehr tun konnte. Darf ich fragen, was
Sie davon halten?»
    Er nahm seinen Spitzbart zwischen die
Finger.
    «Ein Casus des akuten Herztodes, sine
dubio», sagte er. «Eine Apoplexia scheint mir weniger wahrscheinlich. Der
Blutdruck war nicht ungewöhnlich hoch. Für eine Sklerosis hatte ich keinen
beweisenden Anhalt.»
    «War das Herz denn schlecht?»

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