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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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fragte
ich. Meine Ausdrucksweise erschien mir nahezu vulgär gegenüber der seinen.
    «Nun, nun», sagte er. Er stand ganz
still und blickte konzentriert vor sich auf den Teppich, als müßte er sich
selbst erst Rechenschaft ablegen über diese Frage. «Schlecht? Ich will nicht
unbedingt sagen schlecht. Es war ein Altersherz, naturaliter, eine
Myodegeneratio wird vorgelegen haben, ich bin sicher... aber ein Vitium gravis,
wenn Sie das meinen... nein, das möchte ich verneinen, entschieden verneinen.»
    So. Er verneinte entschieden. Kein
schwerer Herzfehler, das übliche alte Herz, etwa wie das von Jenny Herwig.
    «Sie haben nicht digitalisiert?»
    Er ließ den Bart los und sah mich an.
    «Nein, Kollega. Ich sagte bereits, es
lag keine Veranlassung vor.»
    «Verzeihung», sagte ich beflissen. «Ich
fragte nur, weil— in der vergangenen Woche hatte ich einen ganz ähnlichen Fall.
Vielleicht haben Sie die Dame gekannt. Es handelte sich um eine Schulfreundin
von Frau von Scherff. Derselbe akute Herztod. War allerdings unter Digitalis.
Ich hatte sie von meinem Herrn Vorgänger übernommen. Fräulein Groß hat mir— »
    «Ah, ich erinnere mich», rief er. «Ich
glaube, ich habe einige Damen hier im Haus kennengelernt— » seine Stimme senkte
sich— «ja, ja, tief bedauerlich, Kollega. Wir alten Leute werden nun mal nicht
jünger.»
    Wir jungen auch nicht, dachte ich.
    «Frau Herwig», sagte ich. «Frau Jenny
Herwig.»
    Der Name schien ihm nichts zu sagen.
Ich wollte noch etwas wissen.
    «Haben Sie noch eine der Damen in
Behandlung? Ich kenne auch die Schwester von Frau Herwig.»
    «Nein. Nein, Frau von Scherff war die
einzige aus diesem Kreise.» Er schien das zu bedauern. Ich sagte nichts mehr.
Doktor Koch ging zu Mechthild hinüber, die still an der Tür gewartet hatte, und
ergriff ihre Hände.
    «Mein gutes Kind», sagte er. «Ich fühle
tief mit Ihnen. Sie war eine liebe, liebe Frau!»
    «Vielen Dank», sagte Mechthild. Sie
drehte sich schnell um und verließ das Zimmer.
    Als Kochs Blick sich zu mir wandte,
wies ich auf das Telefon, das ich wieder aufgestellt hatte.
    «Der Apparat lag am Boden, zertrümmert.
Sieht so aus, als hätte sie versucht anzurufen. Vielleicht Sie, als sie merkte,
daß es zu Ende ging.»
    Doktor Koch betrachtete das geborstene
Gehäuse mit Bekümmernis. So etwa wie: auch das noch.
    «Das wäre im Bereiche des Möglichen,
durchaus im Bereiche des Möglichen. Sie pflegte mich zu konsultieren, wann
immer sie mich brauchte. Zu spät diesmal. Zu spät.»
    Er trat zu der Toten und drückte die
Hand, die jetzt still über der stummen Brust lag. Dann straffte er sich. Der
Spitzbart stach gegen mich hin.
    «Ich werde den Schein unten ausfüllen.
Und dann werde ich mich ein wenig um das arme Kind kümmern.»
    «Das ist sehr
nett von Ihnen», sagte ich aufrichtig.
    Mechthild saß im Wohnzimmer. Vielleicht
hatte sie geweint, aber es war nichts mehr davon zu sehen. Doktor Koch ging zu
ihr und streichelte über ihr Haar. Dann setzte er sich, zog. die Formulare aus
der Tasche und begann zu schreiben. Ich sah verstohlen über seine Schulter.
Alles klar. Genau das, was ich auch geschrieben hätte.
    Kreislaufversagen bei Altersherz.
    Verdacht auf unnatürlichen Tod?
    Nein.
    Ganz normaler Fall.
    Er unterschrieb und stand auf.
    «Fräulein Mechthild», sagte er.
«Manches ist zu besprechen. Sie gestatten, daß ich Ihnen bei dieser traurigen
Angelegenheit behilflich bin.»
    Er warf mir einen Blick zu.
    «Mechthild», sagte ich, «Doktor Koch
bleibt noch hier. Für mich ist nichts mehr zu tun. Rufen Sie mich an, wenn
irgend etwas los ist. Und— wenn Sie in den nächsten Tagen nicht kommen wollen—
ich kann Fräulein Höflich noch mal bitten einzuspringen.»
    «Ich komme», sagte Mechthild. «Nur—
wenn die Beerdigung ist...»
    «Selbstverständlich.»
    So gern ich sie getröstet hätte, so
froh war ich, jetzt fortzukommen.
    Ich verabschiedete mich mit ein paar
Worten. Dann ging ich. Die Sonne war jetzt höher und schien strahlend hell. Der
Garten duftete. Beim letztenmal war es dunkel gewesen, als ich zu einer toten
alten Dame gerufen wurde. Der Tod kam zu jeder Zeit.
    Ich fuhr den Weg zurück, aber ich sah keine
Leute und keine Häuser, kaum die Ampeln. Meine Gedanken waren bei dem Bild, das
ich nun schon zweimal gesehen hatte, und bei den Kreuzen hinter den drei Namen.
    Jenny Herwig, akuter Herztod.
    Bertha von Scherff, akuter Herztod.
    Alma Wiebach-Thomsen.
    Wie ist es bei ihr gewesen?
     
     
    Am Mittwoch

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