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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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Gedanken
hoffte ich, daß der Besuch der unteren Wohnung gelten sollte. Die Hoffnung trog
mich so schnell, wie sie gekommen war. Die Schritte klangen auf dem unteren
Treppenabsatz, ohne zu verhalten. Noch dreißig Stufen zwischen mir und ihnen.
    Ich drückte die Zigarette am Rand einer
Vase aus und stand auf. Das Montiereisen lag auf dem Teppich.
    Ich nahm es auf ohne den Öllappen. Das
Eisen kühlte meine Handfläche von neuem und beruhigte mich, wie ein Freund, der
einem Mut macht.
    Ich zog die Wohnzimmertür heran bis auf
einen Spalt, durch den ich sehen konnte. Der Flur lag im Halbdunkel, und hinter
mir war es hell. Günstig für einen Angreifer, wenn er einer war.
    Der Unbekannte nahm die letzten Stufen
in gleichmäßigem Tempo. Dann blieb er vor der aufgebrochenen Tür stehen. Ich
atmete flach und lautlos und wartete.
    Die Klingel schrillte neben meinem Ohr
wie eine Dampfpfeife. So wenig war ich auf diese Möglichkeit gefaßt gewesen,
daß ich beinahe das Eisen fallen ließ. Ein Mörder, der zurückkam und klingelte?
    Kaum.
    Ich blieb stehen, wo ich war. Es
klingelte zum zweitenmal.
    Dann wurde vom der Türflügel
zurückgestoßen.
    Ich ließ nur ein Auge an meinem Spalt.
Das Licht fiel vom Treppenhaus her gegen die Öffnung. In dem hellen Rechteck
stand eine Gestalt, die ich kannte.
    Klein, mit mächtigem Schädel. Die
rechte Hand ruhte auf einer Schirmkrücke. Die linke hielt einen Strauß Blumen,
und die Konturen ihrer Blüten zeichneten sich scharf gegen den Hintergrund ab.
    Der Oberstudiendirektor, Schopenhauer
der Zweite.
    Wie ein gespenstischer Scherenschnitt
auf hellem Papier.
    Langsam öffnete ich die Wohnzimmertür.
Ich trat einen Schritt nach links auf die Schwelle und blieb stehen.
    Der Rektor rührte sich nicht. Keine
Bewegung des Erschreckens war an ihm zu sehen. Aber ich fühlte, wie seine Augen
sich zu mir herbohrten über die Länge des Flurs.
    «Was tun Sie hier?»
    Ich ging langsam auf ihn zu.
    «Guten Tag, Herr Oberstudiendirektor.»
    Er hatte mich erkannt, sowie ich
herausgekommen war.
    «Guten Tag, Herr Doktor Klein. Nun?»
    Wieder hatte ich das Gefühl, in der
Pause vor dem Rektor zu stehen, wie vor langer Zeit.
    «Ich wollte dasselbe tun wie Sie»,
antwortete ich. «Gratulieren. Außerdem war ein Krankenbesuch zu machen. Jetzt
warte ich auf die Polizei.»
    Er musterte mich aus scharfen Augen,
wie ein Raubvogel.
    «Wer hat diese Tür aufgebrochen?»
    «Ich.»
    «Warum?»
    «Ich habe befürchtet, daß Frau
Lindemann etwas zugestoßen ist.»
    «Und?»
    Ich antwortete so schnell, wie er
gefragt hatte.
    «Sie ist tot.»
    Wieder keine Bewegung. Aber alle Linien
des faltigen Gesichtes wurden härter, wie in einer starren, künstlichen Maske.
    Dann hängte er die Krücke des Schirmes
über seinen linken Arm, der die Blumen hielt. Er nahm langsam seinen Hut ab.
    «Kann ich sie sehen?»
    Ich wußte kein Recht und keinen Weg,
ihm das zu verbieten.
    «Wenn Sie nicht erschrecken, Herr
Oberstudiendirektor.»
    «Ich erschrecke niemals, mein Freund.»
    Ich ging vor ihm her zur
Schlafzimmertür. Er blieb in der Öffnung stehen. Ich sah noch mal über seine
Schulter, was ich schon gesehen hatte.
    Die Tote. Das blutige Gesicht. Das
gläserne Pferd.
    Er stand mit gesenktem Kopf. Aber ich
ahnte, daß seine Augen jede Einzelheit wahrnahmen und festhielten wie eine
Filmkamera.
    Oder hatte er schon gewußt, was er
sehen würde?
    Er berührte nichts und tat keinen
Schritt weiter in das Zimmer. Es sah so aus, als ob er immer nur das Notwendige
täte und immer nur das Richtige.
    Er drehte sich, um das Zimmer zu
verlassen. Als ich die Tür schließen wollte, gellte der Ruf des Wellensittichs
hinter uns her.
    Der Rektor hob ruckartig den Kopf.
Seine Augen funkelten. Ich sah ihn an, ohne Verständnis.
    «Das hat er vorhin schon mal gerufen—
gerade, als ich zumachen wollte. Immer wenn jemand rausgeht. Haben Sie es
verstanden?»
    «Ich weiß es nicht», sagte der Rektor,
und für eine Sekunde glitt das faunische Lächeln über sein Gesicht, das ich an
ihm schon kannte. «Vielleicht komme ich noch darauf.»
    Ich zog die Tür ins Schloß.
    «Wollen wir uns reinsetzen? Meine
Sprechstundenhilfe ruft die Polizei. Sie muß gleich hier sein.»
    Er kam nicht zu seiner Antwort.
    Hinter uns knarrte die Korridortür, und
ein leiser Luftzug wehte an uns vorbei. Unsere Blicke schnellten gleichzeitig
herum.
    Eine dunkle Gestalt stand im Türrahmen,
wie vorhin der Rektor, aber schmaler und höher.
    Ein Todesengel, der lautlos

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