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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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aber mit einem Vorhang verhängt. Als ich ihn zur Seite schob, kam mir
wieder deutlich zum Bewußtsein, daß wir uns unbefugt in einer fremden Wohnung
herumtrieben.
    Unser Blick fiel in ein kleineres
Zimmer, eingerichtet wie ein Salon aus der Biedermeierzeit. Links, direkt neben
dem Eingang, führte eine Glastür auf einen hellen Balkon hinaus. Sie stand
offen, und wirre Weinranken hingen über ihren Rahmen herunter.
    Ich machte zwei Schritte durch die Tür.
Der Balkon war nicht groß. Zwei Säulen trugen ein wabig durchbrochenes Dach aus
Gipsstuck. Alles war umflochten und umrankt vom Weinlaub. Vom hinteren Ende
führte eine schmale Spiraltreppe zum Dach.
    Mechthild kam mir nach.
    «Dornröschens Zauberklause», sagte ich.
«Dort geht’s zum Dachgarten.»
    «Vielleicht liegt sie oben und schläft—
»
    «Könnte sein. Ich seh nach.»
    Die Treppe war kurz und schnell zu
Ende. Ich stand auf dem flachen Dach, umgeben von Sonne und Weinranken, sah
zwei Schornsteine, einen kleinen Tisch, einen Liegestuhl. Ich konnte den Hof
sehen und die Rückfront des Vorderhauses. Aber keine Spur von Dorothea.
    Ich kletterte wieder herunter.
    «Nichts. Fein ist es da oben.»
    «Was sollen wir nun machen?»
    «Tja— entweder warten wir noch ein
bißchen— oder wir treten einen ehrenvollen Rückzug an, schreiben ihr einen
Zettel, und ich sage dem Hausmeister Bescheid, wenn es hier einen gibt. Die
Alte von unten fällt in Ohnmacht, wenn sie mich noch mal sieht.»
    Mechthild sah mich nachdenklich an.
    «Besseren Vorschlag?»
    «Nein— ich dachte nur— ein Schlafzimmer
müßte sie doch auch haben— »
    «Ja. Wahrscheinlich da draußen. Aber
ich glaube nicht— »
    Ich sagte nicht, was ich nicht glaubte,
sondern ging langsam zurück. Durch das Wohnzimmer, vorbei an den Plüschsesseln und
der Musiktruhe. Der Korridor lag in völliger Ruhe. Vorn klaffte die
aufgebrochene Tür
    Dann standen wir vor der ersten Tür vom
Wohnzimmer her. Sie hatte eine geschwungene Messingklinke, und der Lack war
gelblich und alt.
    Ich klopfte. Keine Antwort. Niemand
rief herein.
    Da öffnete ich weit die Tür.
    Ich weiß immer sehr schnell, ob jemand
tot ist.
    Es liegt nicht so sehr an der
Erfahrung. Er sieht anders aus. Er ist so zusammengefallen, er nimmt weniger
Platz weg als ein Lebender, den man vorher gekannt hat. Wie ein toter Soldat
auf dem Schlachtfeld, dem plötzlich sein Mantel viel zu groß geworden ist.
    Dorothea lag in ihrem Bett.
    Flach auf dem Rücken, mit
ausgestreckten Armen. Sie trug eine gestrickte Nachtjacke über dem Hemd. Ihr
Hals war eingehüllt von einem wollenen Tuch. Zwei Sicherheitsnadeln hielten es
fest.
    Aber die Mandelentzündung war nicht
schuld an ihrem Tod. Diesmal war alles ganz klar, nichts Normales und
Alltägliches.
    Die Stirn war blutverkrustet und
aufgerissen über dem rechten Auge, wie von einem Schlag. Schmale Bahnen von
Blut waren über das Gesicht gelaufen und jetzt eingetrocknet.
    Aber da war noch etwas.
    Über dem linken Auge der Toten
funkelten braune Steine. Aufrecht und in furchtbarer Ruhe ragte der Pferdekopf
der Hutnadel empor. Der starke Schaft war durch die Hornhaut gestoßen, und die
Spitze lag irgendwo tief im Gehirn. Ein Denkmal des Todes auf einem stählernen
Sockel.
    Ich merkte nicht, wie ich mich langsam
setzte, auf einen Stuhl, der vor der rechten Seite des Bettes stand. Ich fand
meine Besinnung erst wieder, als ich hinter mir Schluchzen hörte.

    Mechthild stand mit dem Gesicht am
Türpfosten und weinte. Sie war hinter mir gewesen und hatte nicht geschrien.
Sie lief nicht weg. Aber sie weinte. Ich blieb sitzen, konnte mich nicht
rühren. Ich hielt die Hand vor die Augen und sah durch einen Spalt zwischen
meinen Fingern immer wieder die Nadel über dem toten Gesicht.
    Der verfluchte Mörder.
    Eine alte, wehrlose Frau. Im Bett. An
ihrem Geburtstag.
    Da standen wir mit Blumen und Pralinen
und ich mit dem lächerlichen Montiereisen und hatten nicht helfen können.
    Mechthilds Schluchzen wurde leiser und
hörte auf. Die Stille senkte sich über uns wie ein Tuch. Ich blieb sitzen und
wußte nicht, was ich tun sollte.
    Dann hörten wir ein Geräusch.
    Ein leises, hohes Piepen, dreimal
hintereinander. Es erschreckte uns nicht. Es gab kaum mehr etwas, was uns noch
erschrecken konnte.
    Ich blickte auf und sah im Zimmer
umher.
    Es hatte ein Fenster. Dorotheas Bett
stand mit der Querseite daneben, nur durch die Breite des Nachttisches
getrennt. Das Licht fiel in schrägen Strahlen über die Tote, als läge

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