Fünf alte Damen
hatte, dann er.
«Sie haben beide ein gewisses Recht darauf,
die Wahrheit zu erfahren», fuhr Daniel fort. «Und ich weiß, daß sie niemandem
ein Wort davon erzählen werden.»
Agnes hielt die Hände wie gefaltet im
Schoß. Die Fingerspitzen trommelten nervös gegeneinander. Der Rektor sah ihr
gerade ins Gesicht.
«Soll ich es tun, Agnes?»
Sie hob plötzlich den Kopf und hielt
die Hände still.
«Nein, ich tue es selbst.»
Sie wandte sich halb zu Daniel hin.
Unwillkürlich beugte ich mich vor und sah, daß Mechthild das gleiche tat. Ganz
schwach zwinkerten wir einander zu.
Agnes begann.
«Die Angelegenheit ist einfach. Wir
fünf haben seit langer Zeit zusammen Lotto gespielt. Früher war es die
Lotterie, aber als das Lotto aufkam, gefiel es uns besser, und wir fingen damit
an. Vor einem halben Jahr haben wir fünfhunderttausend Mark gewonnen.»
Es war heraus. Es war die einfachste
Sache der Welt. Fast fühlte ich Enttäuschung nach aller Neugierde. Ich hatte an
Erbschaft gedacht, an Rache, an ein altes Geheimnis, das weit zurücklag und uns
jetzt verfolgte.
Lottogewinn!
Jetzt war mir klar, woher die neue
Fernsehtruhe kam. Ich konnte mir vorstellen, wie Dorothea ihren Anteil
ängstlich gehütet hatte, wie einen Schatz im Kellergewölbe. Aber ein bißchen
hatte sie teilhaben wollen am Glanz der neuen Zeit. Die Truhe mit der
Zauberröhre.
«Jeder bekam hunderttausend?» sagte
Daniel kurz.
«Ja.»
«Und bei Todesfällen?»
«Geht der Anteil auf die anderen über.»
«Nicht auf Angehörige?»
«Nein. Erst wenn alle— »
Sie sprach nicht weiter. Alle dachten
wir dasselbe. Eine großartige Bestimmung für den Mörder.
«Wer weiß alles von diesem Gewinn !»
«Nur wir— ich— und du, Walter— und
Doktor Krompecher.»
«Sie haben keinem anderen Menschen
etwas erzählt?»
«Nein.»
«Sie?»
«Keinem, Herr Kommissar», antwortete
der Rektor.
Keinem. Blieben nur die anderen. Die
Toten. Irgendwo war ein Riß in diesem Netz der Verschwiegenheit.
Daniel tat etwas Unerwartetes. Er
fragte Mechthild, schnell und ohne Einleitung:
«Haben Sie etwas davon gehört? Von
Ihrer Mutter?»
Es dauerte etwas, bis sie verstand, daß
sie gemeint war. Sie bekam erschrockene Kinderaugen.
«Ich?— Nein— niemals! Tante Bertha hat
auch nie etwas gesagt— nein.»
Er fragte nicht weiter. Draußen
erklangen jetzt wieder leise Stimmen und Schritte, die sich in monotonem
Gleichtakt entfernten. Sie trugen Dorothea hinaus, die sterben mußte, weil sie
gewonnen hatte.
Dann verstummten alle Geräusche vor der
Tür. Daniels Leute waren gegangen. In die Stille unserer reglosen Runde klang
ein Rascheln vom Kleid der alten Dame. Sie hatte sich ganz umgewandt zu Daniel.
Ihre weißen, schmalen Hände umklammerten die Seitenlehne des Sessels, und die
Furcht starrte aus ihrem Gesicht.
«Ich habe solche Angst», flüsterte sie.
Fünfzehn Minuten später fuhren wir den
Weg zurück, den wir gekommen waren. Der Himmel war jetzt dunkler und die Straße
trostloser, als läge ein Schatten über allem.
«Und jetzt auch noch Besuche», sagte
ich.
«Besser als Sprechstunde. Ich bin ganz
erschlagen.»
«Kann ich mir vorstellen. Eine
teuflische Geschichte. Und der Teufel ist noch dabei.»
Eine Ampel blinkte. Ich hielt.
Mechthild wandte den Kopf zu mir.
«Glauben Sie, daß— Tante Bertha auch—
?»
«Möglich. Kann auch Zufall gewesen
sein.»
«Zufall?»
«Ja. Zufälle, die jemand ausgenützt
hat.»
Das Licht wechselte. Ich sah kurz von
der Straße weg nach rechts.
«Haben Sie jemals den Eindruck gehabt,
daß Ihre Tante sich fürchtete?»
«Nein. Nie. Fürchten lag ihr nicht.»
«Und von dem Geld hat sie nichts
erzählt?»
«Nein. Sie erzählte nie etwas von ihren
Angelegenheiten.»
«Seltener Fall.»
Ich geriet in dichteren Verkehr und
mußte aufpassen. Eine Weile schwiegen wir.
Beim nächsten Stopp fragte ich: «Sie,
Mechthild— haben Sie Angst?»
Sie hob langsam ihre Seidenwimpern.
«Manchmal ein bißchen. Es war schon
fast vorbei. Vielleicht geht es wieder los.»
Ich wich einer alten Frau aus, die
langsam über die Straße wanderte. Figur wie Dorothea.
«Keine Sorge», sagte ich. «Niemandem
passiert etwas, solange Agnes nichts passiert. Und jetzt sitzt die Polizei
dahinter. Und Daniel.»
Mechthild zögerte mit einer Frage.
«Haben Sie— eine Ahnung, wer es ist?»
«Nein», antwortete ich. «Keine.»
Ich ordnete mich links ein und bog ab.
«Wohin fahren Sie denn?»
«Zu Ihnen nach Haus.»
«Und
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