Fünf Brüder wie wir
neben meiner Pritsche angemacht, um Fünf Freunde weiterzulesen, aber das ging jetzt nicht.
Plötzlich tauchte vor meinem Gesicht eine riesige Fledermaus auf, die mit dem Kopf nach unten hing, mich anstarrte und eine Grimasse schnitt.
„Also, schläfst du jetzt oder nicht?“, fragte Jean Eins und zog dann mit den Fingern die Unterlippe eklig weit nach vorn.
„Ruhe!“, schimpfte Papa im Dunkeln. „Wer jetzt noch einen Mucks macht, der kriegt von mir … der kriegt von mir …“
Jean Eins zog sich flugs wieder auf seine Pritsche zurück und es war nur mehr das sanfte Ra-ta-tamm des Zugs zu hören, der durch die Nacht glitt.
„Tief einatmen!“, sagte Papa und drückte die Brust heraus. „Atmet die Höhenluft und trockene Kälte der Gipfel ein!“
Es war früher Morgen und wir standen alle frierend vor dem kleinen Bahnhof von Mont d’Or. Der Magen hing uns bis in die Kniekehlen. Papa zählte wieder einmal unsere Gepäckstücke. Der Schnee sah dreckig aus, ein brauner Matsch mit vielen Reifenspuren.
Von wegen Höhenluft und trockene Kälte der Gipfel! Der kleine Bus vom Hotel stieß dicke Fürze von Abgaswolken aus.
„Ich glaub, ich muss gleich kotzen“, murmelte Jean Eins mit einem Gesicht so grün wie ein Marsmännchen.
„Ihr werdet schon sehen“, sagte Papa voller Energie. „Nichts ist besser als Höhenluft, um eine Gesundheit wie Herkules zu kriegen!“
Das Hotel du Mont d’Or war eine große Hütte mit ausladendem Dach und breiten Holzbalkonen. Wir bezogen zwei nebeneinanderliegende Zimmer mit Zwischentür: eines mit vier Betten für die Großen und Mittleren und ein zweites für Papa, Mama und Jean Fünf. Durch das Fenster blickte man auf ein weites Feld mit unberührtem weißen Schnee.
„Auf, auf, Jungs!“ Papa klatschte in die Hände, während Mama schon mal anfing, die Koffer auszupacken. „Wettbewerb im Schneemannbauen! Alle sind in zwei Minuten unten …“
Papa war in seiner Jugend bei den Pfadfindern. Er liebt es, uns „Jungs“ zu nennen, Wettkämpfe zu organisieren und alle Welt nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.
Schreiend stürmten wir die Treppe hinunter.
„Zieht euch warm an!“, brüllte Mama. „Es ist eiskalt draußen!“
Wir verteilten uns auf dem Feld, wo wir knöcheltief im Pappschnee versanken.
Papa war vergnügt wie ein junger Hund und der erste Schneeball kam von ihm.
Bald tobte eine große Schlacht. Jean Eins und ich gegen die anderen. Die alten Fäustlinge der Fougasse-Cousins waren schnell klitschnass, unsere Finger steif gefroren und der Schnee rutschte uns zwischen Anorak und Rücken, aber es war wirklich eine tolle Schneeballschlacht.
Dann fing Jean Vier an zu heulen und rieb sich das Auge. Er klagte, Jean Drei hätte extra kleine Steinchen in seine Schneebälle gemischt.
Deshalb sagte Papa: „Gut, Jungs. Dann gehen wir’s jetzt mal etwas ruhiger an. Lasst uns den größten Schneemann bauen, den die Welt gesehen hat. An die Arbeit!“
„Einen Schneemann?“ Jean Eins moserte. „Jetzt gleich? Und wann dürfen wir fernsehgucken?“
Papa dirigierte die Arbeiten.
Jean Drei und Jean Vier suchten Zweige für die Arme. Jean Eins und ich rollten im Pappschnee immer größere Kugeln: eine dicke für den Bauch und eine kleinere für den Kopf. Sie waren irgendwann so groß, dass wir uns fest dagegenstemmen mussten, um sie noch weiter von der Stelle zu bewegen. Mama schaute uns vom Balkon aus mit gerührter Miene zu und knipste Fotos.
„Glück auf, Wölflinge!“, feuerte Papa uns an.
Er wirkte sehr stolz auf seine kleine Truppe. Die Ohrklappen seiner Strickmütze ragten ihm steif vom Kopf ab. Weil er ja so stark ist, half er uns dabei, die große Kugel immer noch größer zu rollen, und da bemerkte er es auf einmal …
„Was ist das denn?“, murmelte er und schnüffelte an seinen Fäustlingen herum.
Dann haben wir ebenfalls unsere Fäustlinge und Anoraks untersucht. An sämtlichen Stellen, die mit dem Schnee in Berührung gekommen waren, konnten wir gelblich braune Flecken erkennen.
„Scheibenkleister“, fluchte Papa und warf einen verzweifelten Blick zum Balkon, wo Mama immer noch Fotos knipste. „Überall Hundescheiße.“
Und so war es: Während wir die große Schneemannkugel rollten, hatten wir die Sachen von den Fougasse-Cousins mit dem Hundedreck vollgeschmiert, der unter dem Schnee versteckt lag.
Auf einmal fanden wir es überhaupt nicht mehr lustig im Schnee. Mit gesenktem Kopf schlichen wir ins Hotel zurück und hielten uns
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