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Fünf Brüder wie wir

Fünf Brüder wie wir

Titel: Fünf Brüder wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Mal unsere Koffer zählte. Er hatte einen ziemlich roten Kopf. Dass Mama in ihrem Zustand auch nur ein einziges kleines Gepäckstück trug, kam nicht infrage. Papa ist sehr stark, aber vier Koffer und zwei Rucksäcke sind selbst für ihn etwas viel. Ich merkte, wie unter der Strickmütze mit Ohrenklappen, die ihm Onkel Fougasse geliehen hatte, seine Begeisterung allmählich nachließ.
    Wenn man beim Eisenbahnfahren zu siebt ist, kann man ein ganzes Schlafwagenabteil nur für sich allein reservieren. Was natürlich prima ist. Wir haben uns gleich gestritten, wer auf den Pritschen ganz oben schlafen darf. Da hat Papa die Nerven verloren und es hat die ersten Ohrfeigen gesetzt.
    „Was hältst du davon, noch mal mit den Großen raus auf den Bahnsteig zu gehen, mein Schatz?“, fragte Mama. „Ich richte inzwischen alles her.“
    Es war schon dunkel. Wir gingen mit Papa auf dem Bahnsteig auf und ab, bis er sich etwas beruhigt hatte. Dann hat er uns die Lokomotive erklärt, während die beiden Kleinen sich die Nase an der Scheibe platt gedrückt und uns Grimassen geschnitten haben.
    „Was ist das auf dem Dach von der Lok?“, fragte ich. „Sieht aus wie eine zusammengefaltete Antenne.“
    Papa setzte sein schlaues Gesicht auf. „Das ist ein Einholmstromabnehmer, mein Sohn. Wie das Wort schon sagt, dient er dazu, den Strom abzunehmen. Also, das funktioniert so … wie man sehen kann, wird da … ganz einfach, man muss nur …“
    Wir haben ihn eine Weile reden lassen. Dann kletterten wir hastig wieder in den Zug, weil der Schaffner auf dem Bahnsteig laut pfiff und eine Fahne schwenkte.
    Der Zug setzte sich gerade in Bewegung, als Mama auf einmal fragte: „Und Jean Drei? Wo habt ihr ihn denn gelassen?“
    „Jean Drei?“, fragte Papa. „Aber ich hab gedacht, er ist bei dir!“
    „Nicht doch! Ich hab gedacht, er ist bei dir!“
    Papa stürzte aus dem Abteil.
    Im Gang war auch kein Jean Drei.
    In diesem Augenblick entdeckten wir ihn. Er stand in seinem Schlafanzug auf dem Bahnsteig, lutschte am Daumen und schaute verträumt zu, wie wir hinter der Scheibe wild gestikulierten. Wahrscheinlich hielt er uns für exotische Fische in einem Aquarium.
    Glücklicherweise fuhr der Zug erst ganz langsam. Papa rannte wie der Blitz den Gang entlang, schubste andere Reisende zur Seite und brüllte: „Entschuldigung! Entschuldigung!“ Mit einem kräftigen Schulterstoß stieß er die Waggontür auf, beugte sich auf dem Trittbrett weit hinaus und …

    Gerade noch rechtzeitig! Mit der einen Hand hielt er sich fest, mit der anderen schnappte er Jean Drei und hob ihn in den Zug, so mühelos, als wäre Jean Drei ein Plüschtier.
    Papa ist wirklich sehr stark.
    Jean Drei schaute ihn verdutzt an und schien überhaupt nicht zu begreifen, wie ihm da gerade geschah. Aber ein Blick auf Papas roten Kopf reichte, um zu wissen, dass mein kleiner Bruder eine ziemlich ungemütliche Viertelstunde vor sich hatte. Da brauchte man kein großer Hellseher zu sein.
    „Du … du … du …“, stammelte Papa, während er Jean Drei fest am Schlafanzugkragen gepackt hielt.
    Was Jean Drei rettete, waren die anderen Reisenden in dem Waggon. Sie drängten aus den Abteilen auf den Gang heraus und applaudierten Papa zu seiner Heldentat. Würdevoll schritt er an ihnen vorbei, schubste dabei Jean Drei vor sich her, schüttelte den Kopf und murmelte so leise, dass es kaum hörbar war, „Danke! Danke!“ vor sich hin.
    Die sagenhaften Brüder mit ihrer berühmten Akrobatiknummer, dachte ich. Erleben Sie eine Turnfigur, wie sie auf der Welt kein zweites Mal geboten wird!
    Papa schob hinter uns die Abteiltür zu.
    „Jetzt, Jungs“, sagte er, „setzt’s ein paar mächtige Ohrfeigen …“
    Genau in diesem Augenblick kam der Schaffner vorbei, um unsere Fahrkarten zu kontrollieren. Papa wurde ganz blass, als er merkte, dass er die Ermäßigungskarte für kinderreiche Familien vergessen hatte. Er diskutierte mit dem Schaffner eine ganze Weile hin und her, und als wir endlich alle unter unsere Decken gekrochen waren, war die Stimmung am Tiefpunkt angelangt.
    Ich lag auf der mittleren Pritsche, kuschelte mich zusammen und schaute zu, wie an der Decke die Lichter vorüberhuschten. Die Räder machten auf den Schienen Ra-ta-tamm, Ra-ta-tamm.
    Ich fühlte mich wie in einem kleinen behaglichen Häuschen, das durch die Nacht glitt. Es war wie in einem Märchen.
    „Schläfst du?“, flüsterte Jean Eins.
    Ich antwortete nicht. Am liebsten hätte ich das Lämpchen

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