Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
sich zulaufen. Über der Küste zuckten Blitze über den Himmel und der Wind frischte auf. Es war Zeit, den Downs den Rücken zuzukehren.
»Wenigstens heute Abend werden sie in Hythe schlafen und die Leute vom Zivilschutz in London auch, solang der Sturm anhält«, bemerkte Albert. Voller Sorge verfolgte jeder Einzelne die Entwicklung des Wetters und fürchtete die Zeiten, in denen der Himmel klar war. Dann gab es die schlimmsten Bombenangriffe, weil der Feind leicht navigieren konnte, vor allem bei Mondschein.
»Beten wir, dass der Sturm eine Weile an der Küste bleibt«, sagte Oliver. Er zwang sich aufzustehen. Die ersten Regentropfen fielen zischend auf das heiße Metall. Über dem Meer sah er weitere Blitze und hörte wieder das drohende Grollen des Donners.
»Kommt, es hat ja keinen Sinn, hier zu stehen und sich vom Blitz treffen zu lassen«, sagte Hugo. »Ich rufe die Polizei an, damit sie die Leichen abholen, bevor irgendwelche Kinder sie finden. Wenn ich darf, rufe ich gleich vom Pfarrhaus aus an. Ich nehme an, um die Beerdigung müssen wir uns kümmern.«
»Ist schon komisch, dass die Deutschen immer wissen, wann die Nächte klar sind und sie über den Kanal kommen können«, murmelte Albert.
Hugo sah aus, als wäre ihm schlecht. »Heute ist ihre Rechnung jedenfalls nicht aufgegangen. Habt ihr mal darüber nachgedacht, was wir machen, wenn wir tatsächlich einen Deutschen schnappen und er versucht zu entkommen? Könntet ihr auf ihn schießen?«
»Wenn er versuchen würde wegzurennen …«, meinte Albert und fuhr vorsichtig über die Klinge seiner Sense. »Ja«, sagte er mit fester Stimme und dachte dabei an Nell und Margaret Rose.
Plötzlich wusste Oliver mit absoluter Überzeugung, dass er es nicht fertigbringen würde. Nicht, nachdem er den Deutschen hatte sterben sehen. Was auch immer geschah, auch wenn es ihn selbst das Leben kostete: er würde keinen anderen Menschen töten. Er straffte die Schultern. Seine Pflicht war klar. Er würde weiterhin für die bewaffneten Truppen beten, doch soweit es ihn betraf, war er zuallererst Gott und der Erhaltung von Leben verpflichtet, gleichgültig, welche Anweisungen die Regierung herausgab. Sich einer Sache sicher zu sein, dachte er, selbst unter den schlimmsten Umständen, die man sich vorstellen kann, war auf seltsame Weise tröstlich. Es war, als würde man durch Treibsand waten und plötzlich einen Felsen unter seinen Füßen spüren. Er sandte ein stummes Dankgebet gen Himmel.
15
Crowmarsh Priors,
September 1941
Krieg, dachte Muriel Marchmont verdrossen, war eine laute und lästige Angelegenheit. Über ihren Köpfen jagten sich Flugzeuge kreuz und quer über den Himmel und störten den Nachmittagsfrieden. Dann war da diese schreckliche Luftalarmsirene, deren Schrillen sie sich zu fügen hatten, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit sie losging. Und diese Rationierungen! Bezugsscheine, Lebensmittelmarken, Punkte – all das war so verwirrend. Zunächst waren es Zucker, Butter und Fleisch und bevor man wusste, wie einem geschah, brauchte man auch Marken für Käse und Eier, Schinken und nun sogar für Kleidung.
Die Köchin, Mrs. Barkins, hatte an Weihnachten gekündigt und Arbeit auf einer Werft angenommen – ausgerechnet. Mrs. Gifford musste für sie einspringen, doch das Kochen war nicht gerade ihre Stärke. Nachts wurde Lady Marchmont von Verdauungsproblemen geplagt. Und während Mrs. Gifford sich in der Küche abmühte, verlotterte das Haus zusehends. An Hausmädchen war nicht zu denken: Sie waren allesamt in die Munitionsfabriken abgewandert oder verdienten ihr Brot als Busschaffnerinnen.
Lady Marchmont stimmte voll und ganz mit den Freunden ihres verstorbenen Mannes überein, die den »Ausländern« die Schuld an diesem dummen Krieg gaben, vor allem den Polen und denFranzosen, die einen so großen Einfluss auf Churchill hatten. Es war doch gar nicht zu übersehen, dass die Dinge an einem Punkt angelangt waren, an dem es im besten Interesse Englands war, Frieden mit Deutschland zu schließen. Am liebsten würde sie all diese Politiker nehmen und schütteln, damit sie endlich zur Besinnung kamen! Und die jungen Leute, für die sie solch hervorragende Pläne gemacht hatte, erwiesen sich ebenfalls als äußerst störrisch. Ließen sie sich denn gar nichts mehr von älteren und erfahreneren Menschen sagen? Und zeigten sie überhaupt keine Dankbarkeit mehr? Das Alter machte Muriel äußerst reizbar. Sie konnte gar nicht genau sagen, was sie
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