Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
Stunde später kam der Doktor und erklärte Lady Marchmont für tot. Sie hatte einen massiven Schlaganfall erlitten.
Drei Tage später stiegen zwei feierlich aussehende Männer, einer alt und einer jung, aus dem Vormittagszug aus London. Sie trugen Bowler und hielten große Aktenkoffer in der Hand. Albert erkannte Lady Marchmonts Londoner Anwalt und seinen Sekretär. Im Laufe der Jahre hatte sie die beiden häufig einbestellt. »Heut ist wohl das letzte Mal, dass Sie hier gebraucht werden.« Sie sahen ihn stirnrunzelnd an und marschierten in Richtung Glebe House davon.
Im Morgensalon von Glebe House reichte Mrs. Gifford wässrigen Kaffee. Außer den beiden Männern hatten sich auch Frances und Oliver eingefunden, der aus dem Pfarrhaus herübergekommen war. Die Haushälterin wollte sich schon zurückziehen, als der Anwalt sie bat zu bleiben, während er das Testament verlas. Er hatte die Familie Marchmont seit Langem in rechtlichen Angelegenheiten beraten und mit den Jahren hatte er die regelmäßigenAufforderungen ihrer Ladyship gefürchtet, sich auf der Stelle nach Sussex zu begeben, weil sie ihrem Testament etwas hinzufügen wollte. Seine Hinweise, was legal möglich oder nicht möglich war, hatte sie hartnäckig ignoriert und nun war es voller zweifelhafter und unverständlicher Klauseln, auf denen sie bestanden hatte. Er setzte sich die Brille auf die Nase, räusperte sich und begann. Dabei hoffte er inständig, dass er sich einen Reim auf dieses verwirrende Dokument würde machen können.
Zuerst nannte er das am wenigsten komplizierte Vermächtnis. Lady Marchmont hinterließ Mrs. Gifford eine kleine Geldsumme und räumte ihr für den Rest ihres Lebens das Recht ein, in den beiden Zimmern hinter der Küche wohnen zu bleiben. Der Anwalt hielt inne. Die Haushälterin schnäuzte sich und meinte, das Geld würde sie dankbar annehmen, doch nach dreißig Jahren sei ihr nach Abwechslung zumute und sie wolle eine Kriegsarbeit in einer Munitionsfabrik in der Nähe von Reading annehmen.
Der Anwalt fuhr fort. Lady Marchmont hatte vor ihrem Tod keine Zeit mehr gehabt, ihr Testament zu ändern, und so ging Glebe House weiterhin an Oliver, ihren einzigen lebenden Verwandten. Allerdings hatte er gerade erfahren, dass das Kriegsministerium das Haus für die Dauer des Krieges beschlagnahmte, um es als Genesungsheim für verwundete Soldaten zu nutzen. Hier unterbrach der Sekretär seine Ausführungen und erläuterte, dass Frances und Elsie als landwirtschaftliche Helferinnen weiterhin im Haus wohnen durften, da die Unterkunft in der Nähe von Brighton voll besetzt war und keine andere Unterbringungsmöglichkeit in der Umgebung zur Verfügung stand. Dann folgte noch ein Abschnitt, in dem es um Geld und Aktien für Oliver ging. Frances erbte fast das gesamte Mobiliar des Hauses und Lady Marchmonts Schmuck. »Soweit wir informiert sind, sind es jedoch keine Stücke von besonderem Wert«, sagte der Anwalt und schüttelte den Kopf. »Es ist seltsam, denn früher einmal besaß Lady Marchmont viel Schmuck – ziemlich wertvoll. Nun gibt es nur noch die Stücke, die sie im Alltag getragen hat, ihre Armbanduhr, ein paar Ringe, einige alte Broschen. Ein paar Imitationen. Eigentlich sollte es auch eineBestandsliste geben, doch als wir sie das letzte Mal danach fragten, klang ihre Antwort ein bisschen vage.«
Während das Testament verlesen wurde, schweifte Frances’ Blick immer wieder zu Oliver, der auf dem Sofa saß. Möbel und Schmuck interessierten sie nicht sonderlich. Oliver hatte die Augen geschlossen und Frances fragte sich, ob er dem Anwalt überhaupt zuhörte. Wenn er es tat, dann schien ihn die Tatsache, dass er nun ein reicher Mann und der Besitzer eines stattlichen Hauses war – auch wenn er im Moment nicht darin wohnen konnte –, jedenfalls nicht besonders glücklich zu machen. Nun öffnete er die Augen und rieb sie sich. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Frances fiel plötzlich auf, wie sehr er seit ihrer Ankunft in Crowmarsh Priors gealtert war. Oft sah er traurig und abgespannt aus, mit dem Krieg waren viele zusätzliche Aufgaben auf ihn zugekommen. Natürlich hatte Tante Muriel ihn gnadenlos tyrannisiert und außerdem hatte er gerade vom Tod einer jungen Frau aus dem Dorf erfahren, die sich in London als freiwillige Krankenwagenfahrerin gemeldet hatte. Sie war mit ihrem Wagen voll getroffen worden. Frances wusste, dass er in der vorangegangenen Nacht stundenlang bei der trauernden Familie
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