Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
mehr aufregte: War es Frances’ Weigerung, Alice auf die Sprünge zu helfen, damit sie sich für Oliver ein bisschen hübsch herrichtete, oder war es Alice’ mutloser Blick und ihr blasses Gesicht? Hugo, das wusste sie von Leander, hatte Frances noch keinen Heiratsantrag gemacht und Frances war zweimal nach London gefahren, ohne ihr auch nur ein Sterbenswörtchen davon zu erzählen. Und was Oliver anging …
Was dem Fass den Boden ausschlug, war die Tatsache, dass Oliver die beiden toten Deutschen in der hintersten Ecke des Friedhofes begrub. Sie hatte den Bischof angerufen und protestiert, denn sie waren höchstwahrscheinlich Lutheraner und als Lutheraner hatten sie auf einem anglikanischen Friedhof nichts verloren. Der Bischof, der nicht zum ersten Mal mit Muriel Marchmont zu tun hatte, verlegte sich aufs Zeitschinden, druckste herum, verwies darauf, dass sie sich schließlich im Krieg befänden. Was geschehen war, war geschehen und die Kirchenbehörden würden eigentlich lieber keine Exhumierung vornehmen lassen. Zu guter Letzt meinte er, sie solle für ihre Feinde beten, was dazu führte, dass sie vor Wut nur so schäumte. Sie donnerte den Hörer mit solcher Wucht auf die Gabel und bekam prompt einen Schwindelanfall.
Bedauerlicherweise hatte es sich als Fehler erwiesen, dass sie sich so für Oliver eingesetzt hatte. Er wusste nicht mehr, was er ihr schuldig war, und legte neuerdings eine Eigenmächtigkeit an den Tag, die ihr ganz und gar nicht gefiel. Er war nach wie vor die Sanftmut in Person, doch mittlerweile war er im Dorf zu einer Autoritätgeworden. Der Krieg hatte ihn reifer gemacht. Das Jungenhafte an ihm war verschwunden und nun schaffte er es, seine Gottesdienste, Taufen, den Mütterverein, die Gemeindekasse, Krankenbesuche und die Frage, wer wann die Sonntagsschule leitete, mehr oder weniger mit seinen Pflichten bei der Bürgerwehr unter einen Hut zu bringen. Von Natur aus war er eher schüchtern und in seiner ersten Zeit in Crowmarsh Priors hatte er oft Tage gebraucht, um seine Predigten zu schreiben, die er dann zaghaft und stotternd vortrug. Jetzt, wo er kaum Zeit hatte, am Schreibtisch zu sitzen, waren seine Predigten wesentlich anrührender, weil er aus schlichter Herzensüberzeugung heraus sprach. Genau das war ein weiterer Punkt, der Muriel maßlos aufregte, denn für die volkstümlichen evangelikalen Tendenzen, die die Gottesdienste neuerdings auszeichneten, hatte sie nicht das Geringste übrig. Oliver war inzwischen recht geschickt darin, eine Verbindung zwischen alltäglichen und biblischen Begebenheiten herzustellen, die in dieser schwierigen Zeit alle außer ihr als tröstlich empfanden.
Obwohl Evangeline Fairfax selbst römisch-katholisch war, hatte sie Tommy, Maude und Kipper zu einem besonderen Kindergottesdienst geschleppt, nach dem sie Frances anvertraut hatte, dass Oliver sie an die farbigen Prediger in New Orleans erinnerte. »Gleich ruft er
Amen, Brüder und Schwestern
!«
Das Schlimmste war jedoch, dass Oliver eine beklagenswerte Lässigkeit an den Tag legte, wenn es um die moralischen Prinzipien im Dorf ging. Mehrere unverheiratete junge Frauen hatten Babys zur Welt gebracht, die Väter der Kinder waren entweder an der Front, tot oder galten als vermisst. Oliver hatte jede von ihnen besucht. Die Mädchen schämten sich so, dass es ihn einige Mühe gekostet hatte, doch schließlich überredete er sie dazu, ihre Kinder taufen zu lassen. Muriel Marchmont war schockiert, als sie erfuhr, dass er die Taufzeremonie vor der ganzen Gemeinde am Taufbecken abhalten wollte, genauso wie er es bei Kindern ordnungsgemäß verheirateter Eltern tat. Nachdem sie ihm in einem wütenden Brief befohlen hatte, nichts dergleichen zu tun, nahm sie an, die ganze Sache sei damit aus der Welt geschafft.
An dem Sonntag, den Oliver für die Taufe vorgesehen hatte, sah sie zu ihrer Verwunderung mehrere junge Frauen mit Babys auf den hinteren Kirchenbänken sitzen. Sie sahen nervös aus, aber sie waren da. Oliver hielt eine ausgesprochen mitreißende Predigt über neues Leben als ein Geschenk Gottes, das inmitten von Krieg und Tod besonders willkommen sei. Am Ende blickten die Kirchgänger einander beschämt an. Mehrere Frauen in mittlerem Alter, die ihre Söhne verloren hatten und sich danach sehnten, sich zu ihren Enkelkindern zu bekennen, brachen in Tränen aus. Was Oliver zu sagen hatte, machte einen derartigen Eindruck, dass die meisten Gemeindemitglieder nach dem Gottesdienst zu den jungen Frauen
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