Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
sie ihrem Herzen. Sie nahm sich jedoch vor aufzupassen. »Weißt du, Frances, du hast keine Ahnung, wie Leute wie Bernie und ich leben. Du kennst nur die feinen Pinkel und ihr Leben. Lady Marchmont und Sir Leander und dieser Hugo – sogar Alice und ihre Mum denken, sie haben nicht viel, aber sie haben immer noch mehr als die meisten Leute.
Du hast keine Ahnung, wie’s in der North Street ist, die Männer ohne Arbeit, viel Arbeit gibt’s sowieso nicht. Und die Klebstofffabrik stinkt so, dass man Kopfweh kriegt und meine Mum muss jeden Tag gucken, dass sie für uns was zu essen zusammenkratzt und dass wir ’n Dach überm Kopf haben. Wir haben immer Hunger gehabt, aber Mum hat alles versucht. Hat fast alles verkauft, was wir hatten, sogar ihren Ehering, damit sie den Mann mit der Miete bezahlen konnt. Das mit dem Ring war am schrecklichsten für sie. Sie hat immer gesagt, egal wie schlimm’s kommt, wenigstens konnten die Leute sehen, dass sie ’ne anständige Frau ist und verheiratet.
Eins hab ich gelernt: Wenn du ’ne Chance kriegst, irgend’ne Chance, dass du nicht so leben musst, dann greif zu. Und zwar fix. Gibt nicht viele Chancen für Leute wie Bernie und ich. Bernie, der hat die Chance, dass er was beiseitelegt für die Zeit, wenn die feinen Pinkel mit ihm fertig sind und ihn fallen lassen und er wieder in der North Street landet. Und überhaupt: Er weiß ’ne Menge über sie, dass sie ihm sagen, er soll Sachen fälschen und Safes knacken und so. Wenn die Bernie Ärger machen, dann macht er denen Ärger.«
»Ah. Erpressung. Dann kann ich euch beiden nur viel Glück wünschen. Und danke für die Brote, sie waren köstlich«, sagte Frances und beschloss, dass es sie eigentlich nicht kümmerte, wie sie in Elsies Hände gelangt waren.
Mit einiger Verspätung kamen sie auf den Hof zurück und ihre Gruppenleiterin war ausgesprochen schlecht gelaunt. Sie schickte Frances auf ein matschiges Feld, um Kartoffeln auszugraben. Der schwere Lehm hing wie Zement an ihren Stiefeln. Elsie bekam die Aufgabe, den Traktor zu ölen. Den anderen verbot sie für den Rest des Nachmittags, mit Elsie und Frances zu reden. Elsie, bei der sich die Wirkung des Cider bemerkbar machte, verlor bei einer Testfahrt die Kontrolle über den Traktor und steuerte ihn in einen Graben. Fluchend stieg sie aus und ließ den Traktor auf der Seite liegen. Der Rest der Gruppe zeigte ihnen die kalte Schulter und Frances war froh, dass sie und Elsie in Glebe House bleiben konnten, wo sie es einigermaßen bequem hatten, und nicht mit den anderen in die Unterkunft zurückfahren mussten. Wie immer, wenn Bernie in der Nähe war, verschwand Elsie von der Bildfläche, sobald die Arbeit erledigt war.
Es begann zu nieseln und am Ende des Arbeitstages fror Frances bis ins Mark. Ihre Schultern schmerzten und ihre Fingernägel waren schwarz vor Dreck. Als sie sich im Zwielicht des Novemberabends die Hände in der kalten Spülküche mit Schmierseife abschrubbte, dachte sie wehmütig an Badesalz mit Rosengeranienduft, frisch gewaschene weiße Badetücher, Maniküren, schön frisiertes Haar, hübsche Tanzkleider … Nachtclubs, Musik und Gelächter … Nun gab es nur noch Schlamm, ausgebeulte Hosen, grauen Himmel, Sorgen, Kälte und Gemüsepampe mit Kartoffeln.
Als sie an ihrem verschwitzten Pullover und der fleckigen Cordhose heruntersah, fragte sie sich, welcher Idiot im Kriegsministerium auf die Idee gekommen war, dass es die Einsatzfreude der landwirtschaftlichen Helferinnen steigern würde, wenn man sie als »kräftig, robust und wettergegerbt« beschrieb und ihnen die entsprechende Kleidung verpasste. Und mittlerweise war auch Kleidung rationiert, obwohl Frances eigentlich nicht annahm, dass das auf dem Land viel ausmachen würde. Hier war es sowieso unwichtig, wie man sich kleidete. Schließlich gab es außer einer gelegentlichen Filmvorführung im Gemeindehaus oder einem trostlosen Tanzvergnügen in der Unterkunft der landwirtschaftlichenHelferinnen kaum Möglichkeiten, auszugehen. Bald würden sie alle aussehen wie Alice, die in den abgelegten Sachen ihrer Mutter herumlief und sich immer dieses schäbige Kopftuch umband, sodass ihr Kopf aussah, als wäre er geschrumpft. Oder sie gaben sich überhaupt keine Mühe mehr, wie Evangeline, die schlank war und wunderschön aussehen könnte, wenn sie sich auch nur einen Deut um ihr Äußeres geschert hätte. Richard war fast die ganze Zeit weg und es schien ihr vollkommen egal zu sein, wie sie
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