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Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Titel: Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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fragten sich gegenseitig, ob alles in Ordnung sei, und stiegen dann vorsichtig die Treppe hoch. Sie hatten es eilig, nach Hause zu kommen, und hatten gleichzeitig Angst, dass es ihr Zuhause vielleicht gar nicht mehr gab.
    »Was die Deutschen nicht wegbomben, das holen sich die verdammten Plünderer, sobald du ihnen den Rücken zukehrst«, murmelte eine müde Frau, die ihre drei schmutzigen Kinder die Treppe hinaufzerrte. »Die Nähmaschine von meiner Schwester haben sie geklaut – war brandneu. Drei Jahre hat sie gespart, wollte sich als Näherin selbstständig machen, Vorhänge und Kissen und so was.«
    Die Frau neben ihr schüttelte den Kopf und schnalzte mitfühlend mit der Zunge. »Plünderer sind genauso schlimm wie die Deutschen, sag ich immer. Oder sogar noch schlimmer. Bestehlen die eigenen Leute.«
    Die beiden Frauen strafften die Schultern und bereiteten sich auf das Schlimmste vor. Als sie um die Ecke bogen und ihre Straße sahen, blieben sie mit offenem Mund stehen. Verschwunden. Alles weg.
    Letzte Nacht war das Viertel noch ein dichtes Gewirr aus kleinen Reihenhäusern gewesen, Heimat für Hunderte von Menschen. Nun war es eine Landschaft der Zerstörung. Nur ein paar Wände mit leeren Fensterhöhlen standen noch in der Wüste aus zerschlagenen Ziegeln, zerbrochenen Fensterrahmen, Teilen von Dächern und Schornsteinen, zerschmetterten Öfen, Teppichfetzen, aufgeschlitzten Kissen, einem einzelnen Tischbein, einem Kinderwagen ohne Räder, einer Haarbürste, Spielzeug, einem Männerstiefel mit abgerissenen Schnürsenkeln, zerborstenen Nachttöpfen und einer toten Hauskatze, die mit ihren entblößten Zähnen aussah, als grinse sie. Aus den zerbombten Häusern stieg immer noch eine Wolke aus Staub und Rauch auf. Sie war so dicht, dass man die Glassplitter nicht sehen konnte, die unter den Füßen knirschten. In der Luft hing Gasgeruch.
    »Machen Sie sofort die Zigarette aus!«, bellte der Luftschutzwart einen Mann an, der wie betäubt im Schlafanzug auf der Straße stand. »Sie jagen uns noch alle in die Luft.«
    Die Schaufeln und die Spitzhacken, die sich seit Tagesanbruch an dem Schutt zu schaffen machten, arbeiteten unermüdlich weiter, während der Tag voranschritt. Irgendwo weinte ein Kind, dann war es wieder still. Es weinte nicht mehr so laut wie noch amMorgen oder vor einer Stunde. Immer noch waren schwache Rufe zu hören: »Holt mich raus! Oh bitte, holt mich raus!« und »Hier rüber!« Eine graue Nebeldecke senkte sich über die Stadt, während die Helfer versuchten zu orten, woher die Stimmen kamen. Von einem schier übermenschlichen Willen getrieben machten sie weiter, zerrten die Toten hervor und die, die noch einen Funken Leben zeigten. Der triumphierende Ruf »Krankenwagen, hierher!« ertönte im Laufe des Tages immer seltener.
    Nun huschten verstohlene Gestalten durch den Nebel, bückten sich und gruben in sicherer Entfernung von den Rettungsarbeitern. Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen und zogen etwas aus dem Schutt, alles Mögliche von Haushaltsgegenständen bis zu Schmuck – obwohl der in diesem Viertel eher unwahrscheinlich zu finden war – und zerbrochenen Lampen und elektrischen Kabeln. Die waren Mangelware und daher besonders wertvoll. Wenn der Luftschutzwart sie sah, scheuchte er sie weg. »Plünderer!«, murmelte er. »In Zeiten wie diesen! Sie würden einem Toten das Gummiband aus der Unterhose klauen und es verkaufen.«
    »Was meinst du, wie viele noch da unten sind?«, fragte ein Mann aus dem Rettungsteam, der seit Tagesanbruch grub. Seine Arme zitterten, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte, doch es wurden noch so viele Leute vermisst.
    In der Ferne detonierte eine Zeitbombe.
    »Vor ein paar Stunden waren es noch mehr«, antwortete der andere Retter knapp. Er nahm seinen Blechhelm ab und wischte sich über die Stirn. Der Nachmittag verging und das trübe, rauchige Licht würde bald verschwunden sein. Er horchte auf die Stimme des Kindes, das er unter den Trümmern gehört hatte. Er wollte es herausholen. Er selbst hatte vier Kinder zu Hause und dachte immer wieder, was wenn …
    Ihre Schicht war lang vorbei, doch die Retter gruben verbissen weiter. Eine junge Frau von dem fahrbaren Versorgungsstand reichte ihnen Becher mit dampfendem Kakao. »Sagt uns einfach Bescheid, wenn ihr Wasser und Milch zu den Eingeschlossenen hinunterkriegt«, sagte sie ruhig. Nicht »falls«, sondern »wenn«.»Ich bringe dann sofort was. Wenn sie etwas zu trinken bekommen, halten

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