Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
sie ein bisschen länger durch.«
»Sie wollten ja unbedingt zurückkommen, diese Leute«, sagte der Luftschutzwart wütend und schwang seine Hacke mit aller Macht gegen ein Stück einer Ziegelmauer, die über zwei völlig zerstörte Häuser gefallen war. »Mit den Kindern evakuiert, das waren sie, auf dem Land und alles. Aber als erst mal nichts passiert, haben sie die Nase voll, wollen wieder nach Hause. Müssen sich um den Alten kümmern, vermissen ihr Zuhause, vermissen die Nachbarn. Sie waren in Sicherheit, mit den Kleinen, aber nein, oh nein, das war ja nicht gut genug. Sie mussten unbedingt nach
Hause
kommen! Also packen sie ihre Siebensachen, kommen nach Hause und bringen die Kinder mit. Und dann kommen die Deutschen.«
»Sei still!«, fuhr der andere ihn an.
Das Kind schrie wieder, schwach, nur kurz und eine Frau stöhnte etwas, das sich anhörte wie »Helft den Kindern. Holt uns raus. Bitte holt uns raus«. Die Stimme kam von irgendwoher unter der Ziegelwand, die der Luftschutzwart eben zerschlagen hatte.
»Ja, machen wir«, rief er nun. »Wir wissen jetzt, wo Sie sind. Nur noch ein paar Minuten und dann haben wir Sie draußen. Haben es fast geschafft.« Seine Stimme war heiser, er hatte den ganzen Tag lang in solche Öffnungen in zerbombten Gebäuden hineingerufen. »Gleich kriegen Sie eine schöne Tasse Tee. Das Wasser kocht schon. Kommt, Jungs«, rief er so laut, dass sie ihn hören konnte, »wollen doch sehen, dass die Dame ihren Tee bekommt. Haben’s fast geschafft. Wie viele sind da unten, wissen Sie das?« Hauptsache, er schaffte es, dass sie weiterredete.
»Mein Baby! Wo ist mein Baby? Bitte, finden Sie mein Baby!«, rief eine andere Frau mit schriller Stimme irgendwo auf der Straße.
»Mein Baby! Mein Baby! Mein Baby!«, hallte es durch die Straße.
Zu den abgekämpften Rettungsarbeitern gesellte sich eine Krankenwagenfahrerin, eine kräftige junge Frau aus Yorkshire. Einer der Männer konnte vor Erschöpfung nicht mehr die Arme heben. Sie nahm ihm wortlos die Schaufel aus der Hand und begannzu graben. »Das ist schon in Ordnung. Ruhen Sie sich ein bisschen aus. In meiner Familie sind alle Bergleute, das Graben liegt mir im Blut«, beharrte sie, als er protestierte. »Können Sie mir sagen, von wo das Kind gerufen hat?«, fragte sie den Luftschutzwart flüsternd und räumte einen zertrümmerten Kleiderschrank beiseite. In seinem Innern flatterten Kleider.
»Ungefähr hier«, murmelte er und zeigte auf einen Bereich neben dem Schuttberg, den sie bereits aufgehäuft hatten.
»Baby! Baby! Baby!« Die schrille Stimme brach. Eine ältere Frau kam von irgendwoher und legte die Arme um die verzweifelte Mutter. Sie brach schluchzend zusammen, sie konnte nicht mehr weitergehen. Eine andere Frau eilte zu ihnen und gemeinsam halfen die beiden der kraftlosen Gestalt zum Teestand am Ende der North Street. Die junge Frau, die am Stand bediente, wickelte sie in eine Decke und reichte ihr einen Becher mit starkem Tee, den sie mit zwei Löffeln ihres kostbaren Zuckers gesüßt hatte. Die Frau packte den Becher mit beiden Händen und wiegte sich vor und zurück. Tee schwappte auf ihren Rock.
Es war das Wort »Tee«, das Mrs. Pigeon wieder zu Bewusstsein brachte. Sie hatte doch eben mit jemandem über Tee geredet. Was hatte sie gesagt? Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie den Tee zubereiten wollte … es war so schrecklich dunkel. War das wegen der Verdunkelung? Was war das für ein surrendes Geräusch, das mal näher, mal weiter entfernt zu sein schien? Manchmal hörte es sich an wie Leute, die sich unterhielten, und sie hatte das Wort »Tee« gehört. Sie versuchte, den Kopf zu drehen, aber das tat weh … Dunkelheit und Schmerz. Überall, in ihr drin, auf ihr drauf … überall. Wieder hörte sie das surrende Geräusch und wollte etwas rufen, aber ihr war so kalt und sie war so müde. »Würstchen«, flüsterte sie. Etwas Besonderes zum Tee, Würstchen.
»Haben Sie das gehört? Da hat jemand gestöhnt, dicht an meinem Fuß. Packen Sie mal mit an, dann können wir dieses Wandstück hochheben. Hallo, können Sie uns hören? Wir holen Sie gleich raus, wir haben es fast geschafft. Nicht aufgeben – rufen Sie, wenn es geht.«
Mrs. Pigeon suchte in der Dunkelheit nach den Stimmen. Sie konnte nicht sagen, ob sie über oder unter ihr waren. Sie versuchte verzweifelt, wieder zu rufen, aber da war immer wieder etwas in ihrem Mund. Sie würgte.
»Hallo«, erklang die Stimme wieder.
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