Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
»Sagen Sie uns, wo Sie sind. Wie viele sind da unten?«
Doch ihre Gedanken schweiften ab. Sie dachte daran, wie der Metzger an der Ecke sie in den Laden gewinkt hatte. Er sagte, er hätte ein paar aufgehoben, und wo doch Mrs. Pigeon und die Kinder grade wieder nach Hause gekommen waren … er wickelte sie in ein Stück Zeitungspapier und legte im letzten Moment noch eines dazu. »Für das kleine Mädchen« … welches kleine Mädchen?
Violet.
Jem und Violet – wo waren sie? Sie sollten doch am Tisch sitzen. Dort saßen sie, als sie wegging, vor ihren Tellern, sie warteten darauf, dass sie ihnen etwas zum Tee machte. Dann mussten sie in den Luftschutzraum, weil diese Sirene losging … aber … das Zimmer hatte sich zur Seite geneigt und die Decke war runtergekommen … sie spuckte aus, um den Mund leer zu bekommen, sammelte ihre letzten Kräfte und rief: »Drei!«
»Hören Sie, hat da jemand
drei
gesagt? Ruft da jemand
Jem
und fragt, ob er sie hören kann? Gut, wir haben sie gefunden, genau hier … Wir kommen! Die Kinder, ja. Ja, wir haben Ihre Kinder, sie sind in Sicherheit. Wie heißen sie? Vi’let? Ja, genau.«
Der Luftschutzwart warnte die anderen Helfer mit scharfem Blick, ihm ja nicht zu widersprechen. Niemand sagte etwas. Sie mussten ihrer Hoffnung Nahrung geben, wenn sie sie lebend da herausholen wollten.
Die Krankenwagenfahrerin sah kleine Finger aus dem Schutt ragen. Erleichtert beugte sie sich hinunter und ergriff sie. »Halte durch«, machte sie dem Kind Mut. Sie drückte die Finger und eine kleine abgetrennte Hand ließ sich ganz leicht aus dem Schutt ziehen. Mit aller Macht rief sie sich in Erinnerung, dass da Menschen eingeschlossen waren, die auf sie zählten. Sie musste ihnen helfen. Sie würde sich jetzt nicht übergeben. Grab weiter. Übergebenkannst du dich später. Mit einer übermächtigen Willensanstrengung würgte sie die aufsteigende Übelkeit hinunter und konzentrierte sich darauf, die Trümmer Stück für Stück abzutragen. Dann legte sie etwas mit einer Schleife im Haar frei – ein kleines Mädchen. Sie grub weiter und fand ein kleineres Kind. Einen Jungen. Sie legte das, was von den Kindern übrig war, auf eine Seite und deckte sie rasch zu. Dann half sie dabei, einen schweren zerborstenen Balken hochzuheben. Der kleine Junge war noch warm. Schutt rasselte über ihre Füße und jetzt konnten sie die Frau sehen. Ihre Augen schimmerten in dem schwachen Licht. Sie schien bei Bewusstsein zu sein. Sie mussten sie wach halten, das wussten sie, mussten sie dazu bringen, weiterzureden.
»Kommt, Jungs«, sagte der Luftschutzwart, »jetzt haben wir sie fast. Vorsichtig, Missus, dieses Mädchen vom Krankenwagen hier hat eine Trage. Jetzt sind Sie in Sicherheit. Können Sie mit uns reden, uns sagen, wie Sie heißen?«
Zusammen mit einem anderen Helfer grub die Krankenwagenfahrerin so schnell sie konnte, um die Beine der Frau freizulegen.
»Die Kinder – Vi’let. Jem. Haben Sie die Kinder gefunden? Sie waren bei mir … in dem Zug, den ganzen Tag, wir sind nach Hause gefahrn … hatten den ganzen Weg von Yorkshire nichts zu essen. Hatten Hunger, nach der Zugfahrt … ich bin zum Metzger, vielleicht hab’n wir Glück, dacht ich – Würstchen … so lang keine Würstchen gehabt. Sirene ging los, aber ich hab nur ’n Moment gewartet, weil ich ihnen ihren Tee geben wollt. Dachte, wir hätten Zeit … in Yorkshire hatten wir keine Sirenen … Vi’let!«, heulte sie. »Wo ist Vi’let? Wo ist Jem? Sind sie mit ihrem Tee fertig?«
»Ganz ruhig, ganz ruhig. Ihnen geht’s gut. Sie sehen sie gleich.« Langsam holten sie die Frau unter einem zerbrochenen Balken hervor und legten sie auf eine Trage. »Gleich sehen Sie sie.«
Sie war vollkommen durchnässt. Als sie wieder in das Loch spähten, in dem sie gelegen hatte, sah der Luftschutzwart Wasser schimmern. »Leitung geborsten«, murmelte er. Manchmal überlebten die Leute einen Bombenangriff und ertranken dann in den Trümmern.
Die junge Frau aus dem Krankenwagen deckte die Frau mit einer Decke zu. »Die Kinder sind tot«, bedeutete sie den anderen über ihre Schulter hinweg.
»Sie sollten endlich wieder was Warmes zum Tee haben. Haben monatelang keine Würstchen gesehen. Bin nur einen Moment dageblieben …«
»Ganz genau, das sind Sie.« Der Luftschutzwart winkte den Krankenwagen zu der Stelle, an der sie standen. Wo zum Teufel war der Mann mit dem Morphium?
»Wo wir untergekommen sind, da haben sie
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