Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
gestorben und hat sie außer seiner Tochter niemandem gezeigt.«
»Ja, und weiter?« Rachel beugte sich über die Karte.
Frances zeigte auf einen Punkt an der Küste von Sussex. »Von hier aus sind die Schmuggler nach Frankreich und zurück gefahren.«
Evangeline schilderte, wie sie den Tunnel gefunden und erkundet hatten, dann zeigte sie Rachel, wo er auf dem Friedhof von St. Gabriel herauskam, und sagte, dass man ihn immer noch benutzen konnte, wenn jemand die Kinder an die Küste brachte.
»Das scheint mir alles ein bisschen abwegig«, murmelte Rachel, »andererseits fliehen Juden in manchen Städten durch die Kanalisation. Vor nicht allzu langer Zeit hätte man so etwas auch als abwegig bezeichnet.« Sie sah sich die Karte genauer an.
»Hat das jemals funktioniert?«, fragte sie zweifelnd.
»Oh ja, und zwar sehr gut. Die Regierung hat es nie geschafft, den Schmugglerbanden das Handwerk zu legen. Die Schmuggelfahrten hörten erst auf, als die industrielle Revolution kam und Männer nicht mehr als Seeleute, sondern in Fabriken arbeiteten. Diese Karte hier ist wahrscheinlich die einzige, die es jemals gegebenhat. Für die Schmuggler war das eine ziemlich gefährliche Sache – an der Küste wimmelte es nur so von Soldaten und Steuereinnehmern, die jeden Schmuggler aufknüpften, den sie schnappten. Und trotzdem haben die Schmuggler es geschafft.«
»Also gut, auf unserer Seite haben wir diese Höhle, aber was ist mit der französischen Küste? Die Deutschen sind überall.«
Die Zeit, die Frances und Evangeline darauf verwandt hatten, den Colonel der Freien Franzosen zu bezirzen, hatte sich gelohnt. »Wir wissen, dass RAF-Piloten von Plouha aus über das Meer gerettet werden. Dort sind die Klippen sehr steil, ähnlich wie bei uns in Dover. Direkt unter den Augen der Deutschen.«
Rachel war noch nicht restlos überzeugt, das konnten sie sehen, doch dann sagte sie: »Den Kanal in einem kleinen Boot zu überqueren ist gefährlich, nahezu unmöglich – da sind Minen und U-Boote. Der Kapitän eines solchen Bootes, vermutlich ein französischer oder spanischer Fischer, müsste die Risiken abwägen und entscheiden, was er tun kann und was nicht. Wir hätten keine Garantie, dass er nicht umdreht oder an einer anderen Stelle an der Küste landet. Und Sie sagen, dass die Kinder nachts aus diesem Grab hier an die Oberfläche kämen? Und wie geht es dann weiter? Ich nehme an, dass ein Wagen bereitsteht, um sie wegzubringen – und dass er trotz der Benzinrationierungen vollgetankt ist?«
»Ja, genauso haben wir es geplant. Aber es ist besser für Sie, wenn Sie nicht wissen, wer uns hilft.« Gott segne Bernie und den Schwarzmarkt, dachte Frances.
Rachel lächelte leise. »Ich verstehe. Und dann?«
Evangeline holte tief Luft und erklärte, wie man die Kinder Tannis Ansicht nach verstecken könnte. Sie würden auch mit Lebensmittelmarken ausgestattet werden.
Rachel starrte sie an. Die Einfachheit dieser Lösung machte sie sprachlos. Dann nickte sie. »Tanni könnte recht haben. Meine Schwester … vielleicht … lassen Sie mich überlegen … Wir müssen dafür sorgen, dass niemand weiß, wer die Mädchen sind oder woher sie kommen. Dann kann sie niemand verraten …«
Sie dachte einen Augenblick nach. »Meine Schwester Judith und ihr Mann, Dovid, haben eine große Familie, zehn Kinder, und sie leben in Tottenham. Berthe kennt Judith nicht und außerdem verlässt sie die Gegend um Bethnal Green nur selten, also ist es unwahrscheinlich, dass sie davon erfährt, wenn die Mädchen in dem jüdischen Viertel in Tottenham unterkommen. Ich werde Judith fragen, ob sie und Dovid bereit wären, zwei Kinder bei sich aufzunehmen, von denen sie nichts wissen, nicht ihre Namen und auch nicht, woher sie kommen. Nur Tanni und wir würden wissen, wer sie sind und wo sie sind.«
»Es ist aber trotzdem riskant – würden sie es wagen?«
»Ja, für jüdische Kinder würden sie das Risiko eingehen. Dovids Cousins sind von den Nazis aus dem Ghetto von Lodz verschleppt worden und er … es ist gut, dass sie nicht wissen, wer Tanni ist. Wenn Judith oder Dovid festgenommen würden, könnten sie sagen, dass sie zwei Kinder aufgenommen haben, deren Eltern nach einem Bombenangriff vermisst werden. Ich denke, Tanni hat recht. Ausnahmsweise käme uns die Tatsache zugute, dass sich die Regierung nicht für Juden interessiert. Nun, Sie sagen, Sie haben Geld. Wie viel?«
»Kein Geld, noch nicht, aber wir haben das hier …«
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