Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
war abzusehen, dass Frau Joseph nicht mehr lang leben würde, und dann würde er mit seiner Suche nach den Eltern von Zwillingsmädchen wieder ganz von vorn beginnen müssen.
Die beiden vierzigjährigen Schwestern waren inzwischen in ein untergeordnetes Zuchtprogramm gesteckt worden. Die Notizen, die sich der Doktor zu diesem Experiment machte, formulierte er so vage wie möglich. Auf diese Weise schlug er ein bisschen Zeit heraus. Beide Frauen waren gestorben. In der Zwischenzeit hatte er an den Eltern der Joseph-Zwillinge mit den »vorläufigen Arbeiten« begonnen, wie er es nannte.
27
Bethnal Green, Ost-London,
Juni 1942
Es war ein später Sonntagvormittag, doch an den vorderen Fenstern des schmalen Reihenhauses waren die Verdunkelungsvorhänge immer noch sorgfältig zugezogen. Zwei junge Frauen in Einteilern, sogenannten »Sirenenanzügen«, blieben vor dem Haus stehen, dessen Adresse Tanni ihnen gegeben hatte, und suchten die Hausnummer.
»Hier ist es. Oh, Evangeline, mein Kopf platzt gleich!«, stöhnte Frances. Sie hatten den vorangegangenen Abend im »Coach and Horses« verbracht, dem Hauptquartier der Freien Franzosen in Soho, wo Evangeline erstaunlich viele Männer zu kennen schien, die alle nach einem gewissen Laurent fragten. Sie hatte Frances mit einem kleinen französischen Colonel mit seelenvollen dunklen Augen und einem großen schwarzen Schnurrbart bekanntgemacht. Evangeline hatte sich ein bisschen hübscher angezogen als sonst und Frances sah besonders attraktiv aus: Sie hatte sich die Nägel und die Haare gemacht und trug eines der hübschen Kleider, das sie vor dem Krieg in Paris gekauft und das Tanni ein wenig gekürzt hatte, um ihre Beine zur Geltung zu bringen. Der Franzose war galant von seinem Stuhl aufgesprungen und hatte sich vor ihr verbeugt. Er hatte ein Auge für französische Schneiderkunst und war sehr von Frances angetan. Er hatte stundenlang mit den beidenFrauen an einem Tisch in der Ecke gesessen und Brandy und dann noch mehr Brandy bestellt. Im Laufe des Abends wurde er ziemlich sentimental und Frances musste seine wanderlustige Hand von ihrem Knie schieben. Kurz darauf verabschiedeten sich die beiden Frauen: Sie mussten nun wirklich aufbrechen.
»Ein Kater ist ein geringer Preis für all die Informationen, die du aus ihm herausgeholt hast, Frances. Und wenn ich seine Worte zum Abschied richtig verstanden habe, dann ist er noch nie einer Frau wie dir begegnet, er vergöttert dich, sein Herz gehört dir, bis in alle Ewigkeit, und er wird dir Paris zu Füßen legen, wenn der Krieg vorbei ist. Und heute Nachmittag wartet er im Wirtshaus auf dich …«
»Oh, mein Kopf! Mein armer Kopf! Das war der längste Abend meines Lebens. Aber ich werde ihn irgendwie bei Laune halten müssen, damit er mir den Kontakt zur Résistance vermittelt. Es wird sicher ein bisschen schwierig, ihn auf sein Versprechen festzunageln, ohne wirklich … wenn Tanni wüsste, was wir durchgemacht haben! Nun komm.«
Evangeline klopfte an die Tür und für einen kurzen Moment lugte jemand zwischen den Vorhängen hindurch. Offenbar erwartete man sie. Dann öffnete eine ältere Frau mit Kopftuch und Schürze die Tür einen Spalt. »Schnell, kommen Sie herein.«
»Guten Tag, wir sind Tannis Freundinnen. Ich bin Frances Falconleigh, dies ist Evangeline Fairfax und Sie müssen Mrs. Cohen sein«, sagte Frances. Nach dem hellen Tageslicht draußen war es im Flur dunkel und Frances konnte kaum etwas erkennen.
»Ach!«, stöhnte die Frau und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Kommen Sie.« Sie ging voraus in die Küche auf der Rückseite des Hauses. »Bitte, setzen Sie sich. Rachel wird gleich hier sein. Sie ist diejenige, die über alles Bescheid weiß.« Die Küche ging auf einen kleinen Garten hinaus und war ein wenig heller als der Flur. Mrs. Cohen eilte geschäftig hin und her, räumte ein Flugblatt mit der Mahnung »Nicht verschwenden, wiederverwenden« und ein paar löchrige Pullover beiseite, dann machte sie sich am Wasserkessel zu schaffen und führte leise Selbstgespräche in einerSprache, die Evangeline und Frances nicht verstanden. Schließlich reichte sie ihnen Tee in kleinen Gläsern. »Es tut mir leid, ich mache mir solche Sorgen, dass ich meine guten Manieren vergesse. Sie sind willkommen in meinem Haus.«
Evangeline legte die Papiere auf den Tisch, die sie unter dem Arm trug, und Frances stellte Tannis Reisetasche auf den Boden.
»Darf ich Ihnen etwas zu essen anbieten?«, fragte Mrs.
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