Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
Frances stellte die Reisetasche auf den Tisch und zog ein in ein Handtuch gewickeltes Bündel hervor. Darin lagen drei altmodische samtene Juwelierkästchen. Sie öffnete die Messingschließen. Rachel hielt den Atem an, als sie Lady Marchmonts prächtige dreisträngige Perlenkette mit dem großen, mit Smaragden und Diamanten besetzten Verschluss sah. Frances öffnete die beiden kleineren Kästchen, in denen die passenden Ohrringe und das Armband lagen. Die Perlen schimmerten auf dem schwarzen Satin, mit dem die Kästchen ausgeschlagen waren, während die Smaragde und Diamanten funkelten.
Rachel, deren Familie ein Geschäft in Hatton Garden hatte, war sofort klar, dass der Schmuck ein Vermögen wert war. So etwas hatte sie nicht erwartet.
»Die Sachen sind doch nicht etwa gestohlen? Wenn wir erwischt werden, bekommen wir auch ohne Diebesgut schon genug Probleme. Sie müssen Tausende wert sein.«
»Sie gehören mir. Ich habe sie geerbt. Und in der Tasche habe ich noch mehr. Ich will den Schmuck – oder zumindest einen Teil davon – einem Colonel der Freien Franzosen zeigen, der meint, es gäbe Agenten in Frankreich, die uns helfen würden, wenn wir ihnen genug zahlen … es ist besser, wenn Sie nicht mehr erfahren. Wir bieten ihnen einen Teil jetzt und den Rest, wenn die Mädchen hier sind.«
»Es ist ein gefährlicher Plan, aber ich kann mir keine andere Möglichkeit vorstellen, diese Kinder zu retten. Solang eine Chance besteht, dürfen wir die Mädchen nicht aufgeben. Also müssen wir helfen, Risiko hin oder her. Sagen Sie Tanni, dass sie tapfer sein soll.«
»Sie wissen doch, dass sie wieder schwanger ist? Die Gemeindeschwester in unserem Dorf sagt, es sei zu früh. Anna ist erst im letzten November zur Welt gekommen, im Februar hatte Bruno Urlaub und nun soll das Baby im Oktober kommen. Es geht ihr nicht besonders gut«, meinte Frances. Sie verschloss die Juwelierkästchen und verstaute sie wieder in der Reisetasche.
Rachel erhob sich. »Wir melden uns, sobald wir weitere Fragen geklärt haben. Und noch etwas: Tanni kann die Mädchen kurz sehen, wenn sie in Ihrem Dorf ankommen, aber dann müssen sie sofort verschwinden. Tanni darf nicht wissen, wo sie in London untergebracht sind oder wie meine Schwester heißt. Für Tanni und die Mädchen ist das traurig, aber Sie müssen versuchen, ihr klarzumachen, welche Gefahr für die Kinder – und für Bruno – besteht, wenn sie oder Bruno zu viel wissen. Sie muss sich damit zufriedengeben, dass sie in Sicherheit sind.«
Frances und Evangeline versprachen, es Tanni zu erklären. »Viel Glück, Rachel.«
»Das wünsche ich Ihnen auch. Viel Glück.«
Als sich die Haustür hinter ihnen schloss, hörten sie Rachel rufen: »Zwei Leben! Und Hunderttausende sind in Gefahr!«
Evangeline ging zur U-Bahn, während Frances die Straße hinunterschlenderte, in der Leute geschäftig hin und her liefen und ihren alltäglichen Verrichtungen nachgingen. Die Vorstellung,dass sie Lili und Klara so offen, für jeden sichtbar, in einer Familie unterbringen würden, bereitete ihr größere Sorgen, als sie sich eingestehen mochte. Dann versuchte sie jedoch, die belebte Straße mit den Augen der Behörden zu sehen. Sie schnappte Gesprächsfetzen in einer Sprache auf, die sie nicht verstand. Vermutlich war es Jiddisch. Da waren Frauen, die sich wie Rachel ein Tuch um den Kopf gewickelt hatten. Sie hatten Einkaufskörbe dabei – und Kinder. Überhaupt wimmelte es nur so von Kindern. Sie waren schwarz gekleidet und trugen kleine Ranzen bei sich. Die Jungen hatten Schläfenlocken und auf ihrem Kopf saß eine kleine Kappe. Die Mädchen trugen die gleichen dicken Strümpfe wie ihre Mütter und ihre Röcke reichten fast bis zu den Knöcheln. Auf Frances’ Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, als ihr klar wurde, dass selbst die Leute hinter der
Special Operations Executive
nichts an Tannis einfachem Plan auszusetzen hätten. In einer jüdischen Nachbarschaft in Tottenham, in der jeder jeden kannte, würden die Leute merken, dass Lili und Klara neu hinzugekommen waren, doch Rachel hatte ihnen versichert, dass die Gemeinschaft zusammenstehen würde, um sie zu beschützen. Und einem Außenseiter würde es überhaupt nicht auffallen, dass es da zwei weitere kleine Mädchen in dicken Strümpfen und schwarzen Kleidern gab.
Frances fand eine U-Bahn-Station und kaufte sich eine Fahrkarte. Sie musste sich irgendwo umziehen, ihren praktischen Einteiler gegen ihr hübsches Kleid
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