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Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Titel: Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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kümmern, Liebling. Alles wird gut.« Auch er hatte nicht die geringste Ahnung, was sie nun tun sollten, doch er musste auf jeden Fall verhindern, dass Tanni sich Sorgen machte. »Sie werden bald hier sein«, wiederholte er bestimmt und legte den Arm um sie. »Wahrscheinlich sitzen sie gerade in einem dieser schrecklichen Züge oder warten darauf, dass ein Beamter im Schneckentempo ihre Pässe abstempelt, aber wir werden bald alle zusammen in Oxford sein. Die Zwillinge gehen zur Schule und dein Vater wird wieder Patienten haben. Wir werden ein Haus mit Garten haben, wo unsere Mütter nähen können und du mit dem Baby sitzen und die Glocken der Colleges hören kannst. Wir lernen alle Fahrrad fahren, auch Mutti. In Oxford fährt jeder Fahrrad. Du wirst sehen. Alles wird gut.«
    Tanni fühlte sich besser und lächelte ihn an. »Unsere Mütter auf Fahrrädern, stell dir das nur vor! Ich hoffe, in dem Garten hinter unserem neuen Haus steht ein Feigenbaum.« Bruno sagte, er sei sich nicht sicher, ob Feigenbäume in England wuchsen, aber in Oxford hatte er Pflaumenbäume und Kirschbäume gesehen. Also stellte Tanni sich vor, wie sie geschäftig in ihrer Küche in Oxford hin- und hereilte und Pflaumenmarmelade kochte, während das Baby herumkrabbelte, und wie Bruno nach Hause kam und Tannis Kochkünste bewunderte und sie auf den Nacken küsste und ihr dieser köstliche Schauder über den Rücken lief.
    Doch es kam nicht so, wie Tanni es sich vorgestellt hatte. Bruno brachte sie in die Pension in Whitechapel, in der er in Londonwohnte und wo sie auf ihre Familien warten sollten. Doch aus Tagen wurden Wochen, dann Monate, und im März marschierten die Deutschen in der Tschechoslowakei ein. Bruno meldete sich als Übersetzer beim britischen Geheimdienst. Irgendjemand an höherer Stelle führte ein Telefonat und schon wurde Bruno von seinem Posten an der Universität beurlaubt. Er meinte, sie sollten besser in der Pension bleiben, weil dies die Adresse war, die Tannis Eltern, die Zwillinge und seine Mutter hatten.
    Für Tanni wurde das Leben immer verwirrender. Ihr Körper fühlte sich an, als gehöre er einer anderen. Zuerst war ihr übel und sie war schrecklich müde. Sie schleppte sich den Flur entlang zur Toilette und übergab sich, bis sie zitterte und ihr fast schwarz vor Augen wurde. Dann veränderte sich ihre Figur und sie blähte sich auf wie einer von Lilis und Klaras Luftballons. Als Tannis Taille sich ausdehnte, holte sie das Nähzeug aus der Reisetasche, das ihre Mutter ihr eingepackt hatte, und ließ zwei Kleider heraus.
    Bruno hatte die Märkte in Whitechapel nach Zitronen abgesucht, das Einzige, worauf sie Hunger hatte. Er sah voller Staunen zu, wie sie sie in Scheiben schnitt und aß, mitsamt der Schale und allem. Er freute sich auf das Baby, wollte Tanni aber nicht allein lassen. Sie verstand kaum Englisch – wenn jemand sie ansprach, lächelte sie nur höflich. Bruno war hin- und hergerissen zwischen seiner neuen Aufgabe, die so viel von seiner Zeit in Anspruch nahm, und seinem Wunsch, bei seiner Frau zu sein. Er hatte viel zu tun und war oft noch spät am Abend unterwegs. Wenn Tanni sich im Bett an ihn kuschelte und kicherte, weil sie so dick geworden war, konnte er die Tritte des Babys spüren. Er betete immer inständiger, dass seine Mutter und Frau Joseph bald da sein würden. Als bei Tanni die Wehen einen Monat zu früh einsetzten, waren sie schließlich doch nicht rechtzeitig gekommen, und sie kamen auch nicht, als Tanni nach ihrer Mutter schrie und weinte und sich nicht um die Hebammen scherte, die sie in scharfem Ton zurechtwiesen und ihr sagten, sie solle sich nicht so anstellen.
    Als Tanni mit dem Baby in die Pension zurückkehrte, verschmolzen die Tage und die Nächte ineinander, bis sie das Gefühlhatte, sie sei immer schon in diesem schäbigen Zimmer eingesperrt gewesen, während draußen der staubige, drückende Londoner Sommer in den Straßen stand. Die Zeit verging immer langsamer, ein Tag reihte sich schleppend an den anderen. Bruno war kaum zu Hause und da sie ihn nicht beunruhigen wollte, sagte sie ihm, es sei alles in Ordnung. Wirklich. Wenn er nicht da war, ging sie nach einem trostlosen Frühstück aus kaltem Toast und Marmelade wieder ins Bett, zog die Decke bis zum Kinn hoch und blieb dort. Sie stand nur auf, um das Baby zu füttern oder zu wickeln. Oft machte sie sich noch nicht einmal die Mühe aufzustehen und zum »Tee« zu gehen, wie die Pensionswirtin das Abendbrot nannte. Wenn

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