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Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe

Titel: Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Bryan
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drittes Stück Kuchen und leckte sich mit offenkundigem Genuss die Finger. Tante Berthe strahlte und schob ihr die Kirschen hin.
    Schließlich entstand eine Pause in der Unterhaltung. Tanni wischte sich die Finger an ihrem Taschentuch ab, sie waren rot vor Kirschsaft. Dann holte sie den kostbaren Brief aus ihrer Handtasche. »Tante Berthe, ich brauche deinen Rat, bitte. Ich habe einen Brief von meiner Mutter bekommen«, begann sie aufDeutsch. Mrs. Cohen sagte etwas zu den anderen Frauen und sie nickten. Zusammen mit dem Foto und Klaras Bild wurde der Brief herumgereicht, sodass alle ihn lesen konnten, und Tante Berthe übersetzte für diejenigen, die nicht so gut Deutsch sprachen.
    »Meine kleine Schwester«, sagte Tanni stolz und wies auf Klaras gewissenhaft geschriebene Nachricht. »Sie ist sehr schlau. Aber meine Mutter hat den Brief im April geschrieben und ich habe ihn erst heute bekommen. Die Zwillinge sind erst fünf und sprechen kein Englisch. Lili ist … sie war immer schon ein bisschen langsamer und Klara muss sich um sie kümmern. Wahrscheinlich haben sie auf dem Weg nach England meine Adresse verloren. Ich weiß nicht, wo meine Eltern und Frau Zayman hingegangen sind. Und Bruno ist nicht da, also kann ich ihn nicht fragen, was ich tun soll. Ich dachte, du, Tante Berthe, und der Rabbi, ihr würdet wissen, wie ich sie alle finden kann.« Johnny wachte auf und wimmerte. Tanni nahm ihn auf und wippte ihn sachte auf und ab. Sie überlegte, wie lang es dauern würde, bis sie nach Hause kam und ihn füttern konnte. »Ich kann es gar nicht abwarten, dass sie Johnny endlich sehen!«
    Tante Berthes Gesicht wurde ernst. »Meine Liebe …« Sie zögerte. Rasch blickte sie von einer Frau zur anderen und bat stumm um die Erlaubnis, sprechen zu dürfen. Einige tauschten Blicke. Eine nach der anderen nickte steif. »Vielleicht sind sie noch gar nicht in England angekommen. Wie deine Mutter schreibt, es sind schwierige Zeiten. Wir wissen, dass viele Juden wie deine Eltern Deutschland und Österreich verlassen wollen, doch überall werden ihnen die Türen zugeschlagen. Wir gehören zu einem Komitee, das versucht, Juden auf dem europäischen Festland zu helfen, und wir kennen die Schwierigkeiten …«
    »Ja, aber meine Familie ist ausgereist und ist nun hier in England.«
    Eine jüngere Frau namens Rachel platzte ungeduldig auf Englisch heraus: »Schwierigkeiten? Pah! Es ist unmöglich! Die Dinge stehen sehr, sehr schlecht in Österreich, schlecht in Polen, noch schlechter in Deutschland. Es ist schwierig, eine Ausreisegenehmigungzu bekommen, selbst mit einer riesigen Bestechungssumme. Und wer kann heutzutage noch Bestechungsgeld zahlen? Die Nazis haben jüdisches Eigentum konfisziert und die Leute, die vorher nicht arm waren, sind es jetzt. So viele Länder kehren ihnen den Rücken zu. Sie verschließen vor den armen Menschen ihre Türen. Für Kinder ist es ein bisschen leichter, doch selbst sie stoßen auf Schwierigkeiten. Mein Mann arbeitet mit den Kindertransporten zusammen, er sucht Familien, bei denen die Kinder untergebracht werden können, wenn sie in England ankommen. Diese Leute sind gut organisiert. Wenn deine Schwestern in England gelandet wären, hättest du Bescheid bekommen, das versichere ich dir, also denke ich nicht, dass sie schon hier sind. Wir haben erfahren, dass die Nazis in Österreich viele, viele Leute gefangen genommen haben. Um sie umzusiedeln …«
    »Sie nennen es Umsiedlung«, warf eine andere Frau ein, »wenn Menschen gezwungen werden, ihr Heim zu verlassen und in Arbeitslagern für die Deutschen zu schuften, zusammengepfercht wie Tiere, sogar Kinder und alte Leute …«
    Tanni hatte Mühe, dem Englisch zu folgen. Es würde doch sicher niemandem einfallen, Papa zum Arbeiten in ein Arbeitslager zu schicken, dachte sie voller Unbehagen. Er war Arzt, ein angesehener Mann. Und Mutti und Frau Zayman? Was würden sie als Arbeiterinnen taugen? »Mutti hat nichts von Lagern geschrieben, nur dass Leute umgesiedelt werden. Aber wenn der Brief schon vor Monaten geschrieben wurde, dann müssen sie jetzt in England sein. Meine Eltern hatten im April die feste Zusage erhalten, dass Klara und Lili einen Platz im Kindertransport bekommen, und meine Eltern hatten Ausreisevisa, um nachzukommen, sobald die Zwillinge unterwegs waren.«
    Weitere sorgenvolle Blicke gingen über den Tisch hin und her.
    Johnny begann nun, richtig zu schreien. Tanni klopfte ihm auf den Rücken und ihr Lächeln verschwand. Sie

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