Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
stille Haus folgte, etwas Schreckliches, das immer näher kam. Sie versuchte wegzulaufen, aber es gelang ihr nicht. Manchmal war sie in der Schule und sah durch die vergitterten kleinen Fenster auf die Welt außerhalb der Klostermauern. Oft war sie jedoch auch bei ihrer Großmutter auf dem Land, wo sie Laurent im grauen Dämmerlicht verließ. Nebel lag schwer auf den Zuckerrohrfeldern, es duftete nach Seerosen. Sie war spät dran, sie musste sich hastig anziehen, Grandmère und die alten Damen, die nie nach Hause zu gehen schienen, würden bald aufstehen und im Wohnzimmer den Rosenkranz beten, die Diener würden wach sein – schnell, schnell, bevor sie jemand sah.
Das Haus war gleich hinter dem Vorhang aus Spanischem Moos an der nächsten Sumpfeiche, dann hinter der nächsten undder nächsten. Sie fing an zu laufen, schneller und schneller, doch sie konnte im Nebel den Weg nicht finden, obwohl sie wusste, dass das Haus ganz nahe war, denn sie konnte Inez hören, die mit Töpfen und Pfannen klapperte, und frischen Kaffee riechen. Ein Maultier brüllte und eine Glocke erklang, aber sie konnte nichts sehen.
»Zu spät! Jemand weiß Bescheid«, hörte sie Laurents Stimme hinter sich. Sie wirbelte herum, um zu sehen, wer dort war. Ihre Verfolger kamen durch den Nebel näher, bis sie so nahe waren, dass sie sie sehen konnte: Die menschlichen Figuren hatten Loup-Garou-Gesichter. Sie wandte sich um, um weiterzulaufen, doch Laurents Körper schwang im Spanischen Moos hin und her und versperrte ihr den Weg …
Dann erwachte Evangeline mit klopfendem Herzen und sagte sich immer wieder, dass sie nicht mehr in New Orleans war. In Tannis Zimmer hörte sie Johnny, der seinen Frühstückshunger hinausschrie. Die Vögel in dem alten Birnbaum im Garten zwitscherten. Dann schüttelte sie ihre Kissen zurecht, setzte sich in dem Himmelbett mit der rosafarbenen Seidenbettdecke auf und stählte sich innerlich für die hastige Katzenwäsche im kalten Badezimmer auf der halben Treppe.
Zwanzig Minuten später kam sie notdürftig abgetrocknet aus dem Bad und hob den uralten grauen Pullover, der Richards Vater gehört hatte, vom Boden auf, wo sie ihn am Abend neben ihren Stiefeln und ihrer langen Hose hatte fallen lassen. Früher hatte Evangeline sehr auf ihre Garderobe geachtet, hatte Schuhe und Schmuck passend zum Kleid ausgesucht, doch nun war es ihr fast egal, was sie anzog. Sie schien sich eher Mühe zu geben, sich besonders nachlässig zu kleiden.
Sie ging in die Küche und setzte den Kessel auf, um Tee zu kochen. Sie hasste Tee, trank ihn aber, weil er sie wärmte. Mit dem Toast wartete sie, bis Tanni herunterkam. Dann versuchte sie zu überlegen, wie sie den Tag ausfüllen könnte, während sie darauf wartete, dass Laurent anrief und ihr sagte, sie solle sofort zu ihm kommen: Heute sei der Tag, an dem es passieren sollte. Ihr kleiner Koffer stand bereit, darin hatte sie die wenigen guten Dinge gepackt,die sie noch besaß. Sie konnte von einem Moment auf den anderen abreisen. Für sie konnte es nicht früh genug sein.
Zuerst hatte Evangeline geglaubt, sie würde verrückt werden in England. Sie wollte sofort mit Laurent Kontakt aufnehmen und ihm von dem Baby erzählen. Aber als sie ankam, erwies sich dieses Vorhaben als schwieriger als sie erwartet hatte. Richard hatte sie sofort zum Haus seiner Mutter nach Crowmarsh Priors gebracht und dort befand sich das Telefon in der Eingangshalle, wo man jedes ihrer Worte mithören konnte. Penelope, die aus ihrer Ablehnung ihrer Schwiegertochter gegenüber kaum einen Hehl machte, war angeblich gekommen, »um Evangeline beim Einleben zu helfen«. In Wahrheit hatte sie sie mit Argusaugen beobachtet. Solang Penelope da war, war es unmöglich, mit Laurent zu sprechen oder gar ihre Abreise zu planen.
Nach einigen Wochen, als Richard immer häufiger weg war und ihre eigene Arbeit ihre Rückkehr nach London notwendig machte, war Penelope wieder in ihre Wohnung in der Nähe von Harrods gezogen. Evangeline atmete ein wenig auf. Sie hatte Laurent in seinem Büro in Marseille angerufen und ihm gesagt, wo sie war. Sie kamen überein, dass sie zu ihm nach Frankreich kommen würde, sobald er eine Unterkunft gefunden hatte. »In der Provence duftet alles in der Hitze und von den Hügeln aus kann man das Meer sehen«, sagte er. »Ich habe da ein hübsches kleines Haus mit blauen Schlagläden für uns im Auge, ich versuche, etwas Geld dafür zu sparen.«
»Für uns? Aber wie können wir im selben Haus
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