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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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sie beide herum, sagt »Mmm« und »Ahh, jetzt geht’s mir wirklich wieder gut«, während seine Nasenspitze über ihre streicht.
    Der Beat wird schneller und ihr Herz wird es auch, als seien das Hämmern über und das in ihr aneinandergekoppelt.
    »Mein Gott, man versteht ja wirklich kein Wort!«, ruft meine Mutter und wirft Arno einen fast schon flehentlichen Blick zu.
    Aber der will sich einfach nicht mit ihr aufregen.
    »Na, na«, ist alles, was er sagt, während er unvermindert lächelnd zum Bildschirm schaut, offenbar so von dem Treiben dort fasziniert, dass er im ersten Moment gar nicht kapiert, was meine Mutter will, als die plötzlich ihre Lippen auf seine presst.
    Mit einem Eifer, den sie sich selbst am allerwenigsten erklären kann, wirft sie sich ihm entgegen und beginnt ihn zu küssen, schlingt die Arme um seinen Hals, steckt die Finger in seine Locken.
    Aber auch an dieser Aktion will mein Vater sich heute nicht so richtig beteiligen. Seine Zähne versperren meiner Mutter den Weg, halten sie am Eingang fest, wie einen Besucher, der nicht auf der Gästeliste steht. Sie zappelt herum, macht sich an seinem Gummibund zu schaffen, versucht hektisch, seinen lahmen Mund in Bewegung zu versetzen  – bis mit einem Mal Arnos Zunge herausspringt und ihr wie ein nasser Waschlappen über Mund und Nase wischt.
    Meine Mutter fährt zurück. »Dann halt nicht«, sagt sie und reibt sich ärgerlich übers Gesicht.
    Arno lächelt schuldbewusst. »Tut mir leid, ich muss grad echt erst verdauen«, sagt er, »ich glaub, das ganze Essen war einfach ein bisschen viel auf einmal.« Er streckt die Hand aus und streichelt ihr Bein. »Morgen geh ich wieder schwimmen, dann hab ich schnell wieder alle Energie, die du dir wünschst.« Er lächelt und diesmal soll es wohl ein wenig schmutzig sein. »Nicht böse sein, ja?«
    »Schon gut«, sagt meine Mutter und ärgert sich, wie gereizt sie klingt. »Das ist ja nicht zum Aushalten«, ruft sie schnell hinterher und rollt die Augen gen Himmel oder zumindest gen oberes Stockwerk, »da muss doch mal einer was sagen! Kann doch nicht jeder, wie er will!«
    »Irre, die kriegen die 1000 echt zusammen!«, ruft Arno und kuschelt sich wieder in die Decke. Er stopft die Enden unter den Zehen fest, kriecht noch näher an den Bildschirm heran.
    »Wenn’s dich so stört, geh doch hoch und sag ihnen, sie sollen leiser machen«, murmelt er plötzlich.
    Meine Mutter zuckt zusammen.
    »Meinst du wirklich?«, fragt sie.
    Ein Schauspieler, der sich ständig den kleinen Finger ins Ohr bohrt, schüttelt den Kopf. »Don’t let me down, you guys!«
    »Klar«, sagt Arno. Nickt ein wenig. Tut ihr endlich den Gefallen, »ist schon ganz schön laut« zu sagen, sodass meine Mutter erleichtert »gut, dann geh ich!« ruft und aufspringt. In den Flur läuft. In ihre Schuhe schlüpft. Den Schlüssel vom Bord zieht.
    Und dann doch zurück ins Bad rennt und das Spiegelschränkchen aufklappt.
    Die Hand am Kinn, bereit, das Bild zur Not sofort zu verdecken, blickt sie in die drei Gesichter, die ihr entgegenstarren, jedes einen halben Zentimeter an ihr vorbei, sodass sie sich im Halbprofil sieht, das spitze Kinn, die Nase, die dunklen Ringe unter den Augen. Sie streicht sich übers Haar, zupft ein paar Strähnen in die Stirn. Die drei Münder zucken. Dann wirft sie die Schranktüren zu.
    Sie wäscht sich die Hände und geht wieder in den Flur, fragt sich erst, als sie an der Tür steht, wieso eigentlich.
    »War nur noch mal auf dem Klo!«, ruft sie Arno zu. Aber er scheint sie nicht zu hören.
    Wie soll er denn auch bei dem Krach?, denkt sie und versucht sich  – und später dann auch mich  – einen Augenblick lang tatsächlich davon zu überzeugen, dass sie deshalb nach oben geht, »ganz unabhängig jetzt von ihm.« Aber in dem Moment, in dem die Tür zufällt, huschen alle Ausreden hinter ihr in die Wohnung zurück.
    Die Bässe wummern in ihrem Magen. Sie presst eine Hand auf den Bauchnabel, spürt, wie die Suppe meiner Großmutter wieder nach oben drängt, während sie die Bleiklumpen, zu denen ihre Füße geworden sind, von einer Stufe auf die nächste hievt. Fast wundert es sie, dass das morsche Holz nicht unter ihrem Gewicht nachgibt, was ein so alberner Gedanke ist, dass der Ärger darüber sie dann doch wieder ein paar Stufen auf einmal nehmen lässt. Aber auch so kommt sie noch derart langsam voran, dass das Licht auf halber Strecke erlischt.
    Blind steigt sie den restlichen Weg nach oben, tastet sich an

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