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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Tisch und sieht ihr zu, wie sie der Suppe beim Kochen zusieht.
    »Was für ein Wetter!«, sagt er und öffnet das Fenster. »Es ist wirklich Frühling geworden, während wir krank waren, was?«
    Es ist Frühling geworden, während ich krank war, denkt meine Mutter, und: eigentlich sogar noch kurz davor.
    »Ja, stimmt«, sagt sie und sieht seinen Hintern, der ihr entgegenragt und von dem wahrscheinlich nicht wirklich die Hose so weit gerutscht ist, dass man die Pofalte sieht, aber so will sie es sich merken. Und auch, dass in diesem Moment die Musik losdröhnt und das natürlich aus seiner Wohnung, das weiß sie sofort, aber mein Vater sagt es auch noch mal.
    »Da oben geht’s ja ganz schön ab, was?« Er hebt den Arm über den Kopf und schlägt mit der Faust in die Luft. Lacht ein wenig, damit sie auch ja merkt, dass er nicht etwa Spaß hat, sondern nur Spaß macht. »Hyper Hyper!«, ruft er, was nicht wirklich der Song ist, der gerade läuft, aber einen Beat hat er eben auch.
    Meine Mutter senkt den Kopf, sieht die Bläschen, die unter ihr platzen. »Mach lieber zu, sonst bist du gleich wieder krank.«
    »Ich dachte, jetzt sind meine Abwehrkräfte am stärksten«, sagt Arno und lässt den Arm sinken. Wartet auf eine Antwort. Schließt, als meine Mutter nur weiter in die Suppe starrt, die richtig zu spucken beginnt, dann aber doch das Fenster. »Naja, du bist die Ärztin.«
    »Bin ich doch noch gar nicht.«
    Er kommt auf sie zu, schiebt sein Kinn auf ihren Rücken, wie ein bettelnder Hund auf den Frühstückstisch. »Das ist doch nur noch eine Formalie.«
    Meine Mutter macht ein Hohlkreuz. »Ich glaub, sie ist fertig«, sagt sie und rutscht unter ihm davon.
    Sie essen im Wohnzimmer, weil man in der Küche ja kein! Wort! Ver! Steht! Aber auch da ist es nicht viel besser. Selbst durch die Doppelfenster, die Arno endlich ebenfalls zumacht, weil meine Mutter es trotz all des Gestöhnes und Geschnaufes nicht macht, hört man die Musik weiter über den Hof hallen, nur unterbrochen von dem Schmatzen meines Vaters, der zwar seinen Appetit zurück-, aber noch immer eine verstopfte Nase hat. Er schafft es kaum, den Mund länger als zwei Sekunden geschlossen zu halten, schon reißt er die Lippen wieder auseinander und ringt nach Luft, als stünde er kurz vorm Ersticken. Meine Mutter sieht die körnigen Suppenreste auf seiner Zunge, die Karottenbröckchen am Rachenzäpfchen, fragt sich wieder, ob er beim Schlucken schon immer so furchtbar ausgesehen hat.
    »Danke«, sagt er endlich, »danke, das hat gut getan«, und schiebt seinen Teller von sich.
    Meine Mutter schüttelt den Kopf. »Dank nicht mir, dank meiner Mutter.«
    Er küsst sie auf die Wange. »Bleibt ja in der Familie.«
    Sie sehen fern, Wetten dass …? oder irgendwas ähnlich Hirnloses, weil mein Vater ja noch ein bisschen matt ist und »man so was dann mal darf.«
    »Er war immer ziemlich großzügig mit sich«, sagte meine Mutter, und: »Das hast du von ihm.«
    Draußen wird es dunkel, was die Musik nur noch lauter wirken lässt, im Vergleich zu diesem friedlichen, nachtschweren Licht. Oder vielleicht drehen sie oben auch einfach wirklich auf. Oder vielleicht ändert sich auch gar nichts. Zumindest scheint Arno nichts davon zu merken. Aber der scheint sowieso von gar nichts etwas zu merken. Nicht von dem Beat, der wie wild schlägt, nicht von dem Herzen meiner Mutter, das noch wilder schlägt, nicht, wie sie die Beine auf die Couch zieht, den Kopf darauflegt, wie sie die Arme darum verknotet, als müsse sie nur ausreichend Körpermasse vor ihre Brust packen, um das Hämmern zu unterdrücken.
    Sie versucht sich auf den Traktor zu konzentrieren, der irgendetwas hinter sich herzieht oder irgendwohin schiebt oder über jemanden drüberfährt, »man versteht ja nix bei dem Krach!«
    »Schau doch«, sagt Arno und wiederholt geduldig, was der Gottschalk eben schon dreimal erklärt hat. Aber meine Mutter ist viel zu sehr davon abgelenkt, wie er sich plötzlich an sie schmiegt, so nah, dass sie sich sicher ist, dass er das Schlagen ebenfalls hören muss.
    Sie springt auf, holt eine Decke aus dem Schlafzimmer.
    »Danke«, sagt er noch mal, während sie ihn so sorgfältig einwickelt, als ginge es um eine zerbrechliche Lieferung, nur dass der Schutz nicht ihm, sondern ihr gilt.
    Sie setzt sich wieder. Schiebt die Finger unter den Po. Zittert trotzdem noch so, dass mein Vater endlich »ist dir kalt?« fragt.
    Meine Mutter schüttelt den Kopf. Aber er zieht schon die Decke um

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