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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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vielleicht im anderen Seitenflügel, oder im Vorderhaus.
    Sie macht sich einen Spaß daraus, ein Fenster auszusuchen, hinter dem sie leben könnte, malt sich aus, wie er dort im Bett liegt und schnarcht, als sie endlich den Schlüssel im Schloss hört.
    »Da bist du ja!«, ruft sie und fliegt ihm entgegen.
    »Langsam, langsam«, lacht er und setzt seine Tasche ab.
    »Wo warst du denn so lange?«
    »Schwimmen«, sagt er.
    »Bis jetzt?«
    »Ich musste doch bis nach Reinickendorf, weil sie die Schwimmhalle bei uns renovieren«, sagt er, »das hab ich dir doch gesagt.«
    »Ach so, ja, stimmt«, sagt meine Mutter, obwohl sie sich kein bisschen an dieses Gespräch erinnern kann.
    Sie hält seinen Arm fest, lässt sich hinter ihm herziehen, während er ins Schlafzimmer geht, seinen Schlafanzug vom Bett nimmt und zurück ins Bad will, aber sie lässt nicht los.
    Er lacht, halb froh, halb verwundert. »Lass mich doch erstmal schnell duschen.«
    »Kannst du doch gleich«, sagt sie und zieht ihn zu sich. Sie lässt sich auf die Decke fallen. »Setz dich erstmal. Ich will dir was sagen.«
    »Aufs Bett?«, fragt er, wohlerzogener Schüler, der er ist, »ich hab doch überall Chlor an mir.« Er schüttelt den Kopf, lässt sich dann aber doch nach unten ziehen.
    Sie küsst ihn auf den Mund. Aber ihr plötzlicher Übermut ist ihm nicht ganz geheuer. »Na, was ist denn so wichtig, dass es nicht warten kann?«, fragt er ein wenig unsicher.
    Meine Mutter greift nach seiner Hand und legt sie sich auf den Schoß, in dem es plötzlich wieder zu brennen beginnt. Sie holt tief Luft, behält sie einen Moment in der Lunge, bis der Schmerz an ihren Rippen unerträglich wird. »Ich liebe dich«, sagt sie dann und drückt sich so stürmisch an meinen Vater, dass sie fast selbst glaubt, damit ihn zu meinen.

12. Kapitel
    »Was haltet ihr von einer Hochzeit im Spätsommer?«, fragte mein Großvater über seinen Teller hinweg, einen Tropfen am Kinn, einen zweiten auf der Serviette, die ihm wie eine Krawatte vom Kragen hing. Er saß am Kopfende, daneben, zusammengedrückt auf der Eckbank, VaterMutterGroßmutter, Familienessen wie jeden Sonntag, Kalbsbraten mit Knödeln und Rotkraut wie jeden Sonntag, »wenn wir jetzt nicht  … , stehen wir vor dem Aus, wenn wir jetzt nur  … , stehen wie vor dem Durchbruch, blühende Landschaften, lauernder Bankrott, Kohl, Bensheim!, Einigkeit und Recht und Freiheit, mein Gott Hilde, dann wird’s halt kalt!«, wie jeden Sonntag, aber das war neu: »Was haltet ihr eigentlich von einer Hochzeit im Spätsommer?«
    Meine Mutter war so überrascht, dass sie erstmal gar nichts zu sagen wusste.
    Nein, meine Mutter wusste doch was zu sagen, aber traute sich nicht, es auch laut zu tun.
    Nein, meine Mutter traute sich schon, war aber nicht schnell genug.
    Es spielt keine Rolle. So oder so sagte sie nichts. Und es erwartete auch gar keiner eine Antwort von ihr. Wussten ja ohnehin alle, dass mein Großvater die richtige bereits kannte.
    »Das wäre perfekt«, verkündete er, »Staatsexamen ist bis dahin vorbei. Und wenn wir irgendwo ein paar Bauarbeiter auftreiben können, die so weit entkommunisiert sind, dass sie vielleicht auch mal einen zweiten Stein hochheben können, ohne ne Zigarettenpause einzulegen, unglaublich, dass das noch erlaubt ist, bei allem was die Wissenschaft heutzutage weiß, pures Gift ist das, puuures Gift!, müsste auch der neue Laden stehen. Dann könnten wir den Empfang gleich da machen!«
    »Und die Ware?«, fragte Arno.
    »Ja, das muss natürlich über die Bühne gehen, bevor die kommt«, sagte mein Großvater und trommelte mit der Gabel auf den Tellerrand, als würde er schon mal den Countdown runterzählen. »Aber beim Termin seid ihr doch flexibel, oder?«
    Meine Mutter schluckte, aber das Stück Knödel, das sie sich gerade in den Mund gesteckt hatte, wollte nicht nach unten rutschen.
    »Klar«, sagte Arno und nickte eifrig.
    »Zwei, drei Monate vorher muss ich aber schon Bescheid wissen!«, rief meine Großmutter, »sonst schaff ich das nie, alles rechtzeitig zu organisieren!«
    Mein Großvater bohrte seine Gabel in den Braten. »Was gibt’s denn da groß zu organisieren? Bierbänke und Klapptische haben wir noch von der Einweihung. Essen wird bestellt. Und in der Kinderabteilung wollt ich eh so’n Parkettoptikzeugs verlegen lassen. Das gibt ne super Tanzfläche.«
    »Und die Musik?«, fragte meine Großmutter herausfordernd.
    »Herrje, da fragen wir den Max, der hat doch sicher

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