Fünf Kopeken
Atem aussetzt. Dann springt sie auf, hebt die Tür an und schiebt sie so weit zur Seite, dass sie sich daran vorbeiquetschen kann. Sie rutscht unter dem Perlenvorhang hindurch, rennt den Flur entlang nach unten. Sie steckt den Schlüssel ins Schloss, erinnert sich erst, als die Wohnungstür aufspringt, daran, dass sie ja gar nicht weiß, wie sie Arno ihre Abwesenheit erklären soll.
Vielleicht war ich kurz etwas einkaufen.
Aber wo sind dann die Sachen?
Ich war bei einer Freundin?
Ach, und wer sollte das denn bitte sein? Schon wieder Babsi? Du hast ja nicht mal eine Jacke an.
Ach was, ich werd ihm einfach die Wahrheit sagen. Dass ich oben war, um mich für mein Verhalten zu entschuldigen.
Und was machst du, wenn er schon länger daheim ist? Was wollt ihr denn so lange da oben gemacht haben?
Aber die Wohnung ist völlig dunkel. Sie knipst das Licht an, sieht sich um. Keine Jacke am Haken, keine Schwimmtasche. »Arno!«, ruft sie trotzdem, »Aaarnooo! Aaarnooo! Aaarnooo!« Aber er ist wirklich noch nicht da.
Sie geht ins Bad, dreht die Dusche an, lässt das Wasser heiß werden. Aber gerade als sie über den Wannenrand steigen will, fällt ihr ein, dass Arno sie ja schon am Morgen duschen gesehen hat. Womöglich wird er misstrauisch, wenn er nach Hause kommt und sie schon wieder unter der Brause steht.
Sie dreht den Hahn wieder zu, nimmt einen Waschlappen aus dem Schrank, wäscht sich vor dem Becken. Und bekommt, als sie sich anziehen will, plötzlich doch Angst, er könne Alex an ihr riechen. Sie steigt in die Wanne, hält sich den Strahl, der jetzt natürlich wieder kalt ist, zwischen die Beine, seift sich so hektisch ein, dass ihr immer wieder die Düse aus der Hand rutscht und sie das halbe Bad unter Wasser setzt. Lass ihn bitte nur noch fünf Minuten brauchen, denkt sie und ist so aufgeregt, dass sie sich ausnahmsweise nicht mal über diese halbe Beterei ärgert, nur noch vier Minuten, nur noch drei, nur noch …
Sie zerrt die frischen Kleider über den noch nassen Körper, stopft die alten Sachen ganz nach unten in den Wäschekorb. Mit dem benutzten Handtuch trocknet sie die Dusche ab, die Armaturen, den Boden, wirft es schließlich ebenfalls in den Korb. Sie kämmt sich die Haare, bindet sie wieder zusammen, aber auch als sie sauber und ordentlich aus dem Bad tritt, ist Arno noch nicht da.
Sie schaltet den Fernseher an.
Und wieder aus.
Sie geht zurück ins Bad, schaut nach, ob sie auch hinter dem Duschvorhang abgetrocknet hat. Was sie natürlich hat.
Sie geht ins Wohnzimmer, rückt hier etwas zurecht, schiebt da etwas beiseite, kommt endlich beim Fenster an. Sie schaut zur Hoftür, eher höflichkeitshalber, um zu sehen, ob Arno vielleicht gerade in dem Moment hindurchkommt, bevor ihre Augen ungeduldig nach oben zu dem Fenster eilen, von dem sie jetzt wissen, dass Alex dahinter schläft.
Was, wenn er jetzt aufwacht und merkt, dass sie gegangen ist. Ob er enttäuscht ist? Ob es ihm überhaupt auffällt? Vielleicht hat er sie schon ganz vergessen. Vielleicht steht er einfach auf, als habe sein Tag eben erst begonnen, geht ins Bad, pinkelt – und sieht plötzlich das Relief über seinem Ohr im Spiegel. Ob er wissen wird, woher es kommt? Ob er sich an ihre Weste erinnert? Wenn es bis dahin überhaupt noch da ist. Wie lange werden sich die Rillen schon in der Haut halten?
Sie läuft zurück ins Bad, zieht die Weste aus dem Wäschekorb und nimmt sie mit ins Wohnzimmer. Sie legt sie auf die Couch und sich darauf, drückt die Wange so fest wie möglich in das Muster. Sie rennt wieder ins Bad und untersucht den Abdruck im Spiegel, der tatsächlich zu sehen ist. Sie schaut auf die Uhr an der Stereoanlage, überprüft den Radiowecker im Schlafzimmer, der jetzt wieder eingestöpselt ist. Sie geht in die Küche, sieht, dass in der Zwischenzeit 40 Sekunden vergangen sind, beginnt wieder, die Minuten zu zählen, wie vorhin, nur jetzt in umgekehrter Reihenfolge, schon drei Minuten, schon vier, fünf.
Sie läuft in den Flur, wählt die Nummer vom Laden, dann die meiner Großeltern, aber niemand nimmt ab.
Vielleicht ist ja wirklich was passiert. Was, wenn er einen Unfall hatte?
Oder vielleicht liegt er ja selbst noch in einem fremden Bett.
Der Gedanke kommt ihr so lächerlich vor, dass sie laut auflacht. Mein Arno? Nein, das passt wirklich nicht zu ihm.
Aber zu dir passt das ja auch nicht.
Sie stellt sich vor, wie er mit einer anderen Frau zusammen ist.
Vielleicht wohnt sie ja sogar auch im selben Haus,
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