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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Ahnung«, sagte mein Vater und schob seinen Daumen in die Handfläche meiner Mutter, »wie viele passen denn rein?«
    »So um die 50?« Mein Großvater leckte sein Messer ab und legte es quer über den Teller. »Es sei denn, wir ziehen die ganze Chose gleich im August durch, bevor die Regale kommen. Dann können wir noch mal 30 dazuquetschen. Das sollte doch reichen, oder?«
    »Klar!« Arno nickte. »Oder wolltest du mehr Leute dabeihaben?« Er drehte sich zu meiner Mutter, sah sie zum ersten Mal seit Beginn dieses Gesprächs direkt an. Sein Daumen grub sich so tief zwischen ihre Sehnen, dass sie es bis in den Ellenbogen spürte.
    Sie versuchte ihre Hand zu befreien, aber je mehr sie daran zog, desto fester schlossen sich seine Finger um ihre. Der Druck in ihrer Kehle wurde immer stärker, bis sie fürchtete, der Bissen könne sich jede Sekunde durch die Haut bohren.
    Sie öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu, fuhr sich nervös den Hals entlang, auf der Suche nach einer Lücke, durch die ihre Stimme an dem Pfropfen vorbei in den Mund schlüpfen könnte. Oder zumindest stelle ich mir das so vor. Wahrscheinlicher ist, dass ich das auch wieder irgendwo abgekupfert habe, wer klappt schon wirklich den Mund auf und zu, wenn er nicht gerade den gehörnten Ehemann im Theaterstadl spielt? Aber meine Mutter selbst lieferte weder Bild noch Erklärung. Alles was sie sagte war: »Ich konnte nichts sagen.« Und dann: »Und dann konnte ich irgendwann doch etwas sagen.« Wenn auch nicht besonders viel.
    »Nein, wollte ich nicht«, war alles, was sie herausbrachte.
    Aber mehr wollte auch niemand hören.
    »Na wunderbar, dann wäre das ja geklärt!«, rief mein Großvater und schlug auf den Tisch. Er schob Salz, Pfeffer und Inhalator aus dem Weg, schleckte auch seine Gabel ab und malte mit der äußersten Zacke ein Viereck auf die Tischdecke.
    »Da kommt der Eingang hin«, sagte er und ritzte zwei Striche nebeneinander. »Vorne dran der Parkplatz. Da können wir das Baumstamm-Sägen machen.«
    Mein Vater beugte sich über den Tisch, zog meine Mutter mit sich nach vorne, während er aufgeregt der Gabel folgte, die das Büfett umriss (vorne links, bei den Kassen), den Kindertisch einzeichnete (hinten rechts, bei, nein besser in der Umkleide, dann haben wir unsere Ruhe!), eine Schlangenlinie beschrieb, Kreise zog. Aber je mehr meine Mutter sich auf die Linien zu konzentrieren versuchte, umso undeutlicher wurden sie. Alles, was sie wahrnahm, war der Bissen in ihr, als habe sich Innen und Außen verkehrt, dieser Brocken, der sich durch ihre Speiseröhre kämpfte, von den Magensäften umspült wurde, immer weiter zerbröckelte.
    Und plötzlich zurück nach oben schoss.
    Meine Mutter sprang auf, presste die Finger auf den Mund.
    Die Gabel ratschte durch die Sitzreihen, während mein Großvater und Arno die Köpfe zu ihr drehten.
    »Ich, äh, ähm, ich sollte besser mal der Mama helfen«, sagte meine Mutter und begann fahrig das übrig gebliebene Geschirr einzusammeln. Sie lief in die Küche, wo meine Großmutter kopfüber im Kühlschrank steckte, drückte sich an ihrem massigen Hinterteil vorbei.
    Meine Großmutter fuhr mit einem spitzen Schrei nach oben, warf die Tür zu und sich davor. »Kind, hast du mich erschreckt!«, rief sie und wischte sich über den Mund.
    Meine Mutter lud das Geschirr in die Spüle, drehte das Wasser auf, als meine Großmutter die Arme um sie schlang. »Ich wollt das vorhin vorm Papa nicht so sagen, aber du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue!«, flüsterte sie von hinten an ihr Ohr.
    Einen Augenblick lang glaubte meine Mutter, Schokolade zu riechen.
    »Mhm«, antwortete sie, während sie steif in der Armschlinge hing. Sie glotzte auf den Strahl, der unablässig weiter auf die Teller donnerte, sah die Essensreste nach oben treiben, bis das Wasser so hoch stand, dass meine Großmutter endlich losließ und eilig den Hahn zudrehte.
    »Hoppla, vor lauter Liebe keine Augen im Kopf, was?«, rief sie und strich meiner Mutter die Haare aus dem Gesicht.
    Sie ging zurück zum Kühlschrank und nahm ein Plastikschälchen mit Erdbeeren heraus, kippte sie neben meiner Mutter auf die Arbeitsplatte.
    »Weißt du schon, ob du mein Kleid anziehen willst?«, fragte sie und begann, die Blätterköpfe abzuschneiden.
    Meine Mutter zuckte die Schultern.
    Meine Großmutter lächelte verträumt. »Ich hab mir vorgestellt, dass wir es wieder enger machen könnten, so wie es früher bei der Schneider-Oma war. Und

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