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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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dass meine Mutter ihm unmöglich folgen konnte. Die noch größere Gier, mit der er ihre Liebe pausenlos versichert haben wollte, denn jetzt, wo sie den Giftschrank einmal geöffnet hatte, ließ er sich mit dem alten »don’t ask, don’t tell« natürlich nicht mehr abspeisen. Selbst in der Nacht drückte er sie vor Seligkeit immer wieder so fest an sich, dass sie davon aufwachte, und ließ sie erst wieder los, wenn sie die magischen Worte erneut ausgesprochen hatte.
    Auf jeden Fall war er aber viel zu glücklich, um sich vom ersten Überraschtsein bremsen zu lassen. Denn überrascht war er sicher auch, wenn auch vielleicht nicht so sehr wie meine Mutter, immerhin hatte er nach eigenem Bekunden ja schon tausendmal darüber nachgedacht, um ihre Hand anzuhalten. Jetzt hatte das eben mein Großvater übernommen. Aber wie er ihr einige Monate später gestehen würde, da schon weinend vor der Wohnung stehend, die jetzt nur noch ihre war, hielt er in jenem Moment auch das für ein Zeichen ihrer Liebe, glaubte, sie sei es gewesen, die meinen Großvater gebeten hatte, das Thema anzuschneiden. Was Arno natürlich noch viel, viel, viel glücklicher machte.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte er mit einem Gesicht, das ganz offensichtlich vergessen hatte, was Sorgen überhaupt sind, »wir sind ja auch noch da.« Er stellte den Inhalator wieder auf den Tisch und stieß meine Mutter mit der Hüfte an.
    »Ich will mich aber nicht aufdrängen!«, erwiderte meine Großmutter und drückte sich aus ihrem Sitz.
    Arnos Hüfte stieß wieder gegen meine Mutter, die endlich begriff und »Tschulligung« nuschelnd in die Lücke rutschte.
    »Nicht doch, Hilde!«, rief er überschwänglich, während er sich auf ihren Platz setzte, »wie sollten wir das denn ohne dich schaffen?«
    Einen kurzen Augenblick hellte sich das Gesicht meiner Großmutter auf, dann sackte die Unterlippe sofort wieder nach unten. »Ich will ja nur, dass ihr’s schön habt«, jammerte sie.
    »Natürlich haben sie’s im Laden schön!«, rief mein Großvater, jetzt auch ein bisschen trotzig, und stopfte sich einen Ballen Rotkraut in den Mund. »Das wird alles tip top. Schalldämpfende Böden. Deckenfluter. Die Front komplett verglast. So schön kriegen sie’s in keinem Saal der Stadt!«
    Meine Mutter griff nach ihrem Glas, trank es in einem Zug aus. Aber das Wasser schien den Knödelmatsch in ihrem Hals nur noch aufzuschwemmen.
    Meine Großmutter hob die Platte mit den Bratenresten an. »Als ich neulich beim Arzt war«, kleines Hüsteln, »hab ich gelesen, dass man in Brandenburg für solche Anlässe alleweil auch Schlösser mieten kann.«
    Mein Großvater lachte laut auf. »Ja, und zum Pissen raus aufs Plumpsklo rennen. So kommst du mir vor!«
    Meine Großmutter fuhr herum und funkelte ihn böse an.
    »Ich bin mir sicher, wenn du im Laden Hand anlegst, kann jedes Schloss dagegen einpacken«, rief Arno, und, sich den zerfledderten Knödel vom Teller meiner Mutter in den Mund stopfend, »mmh, köstlich!«, »da hast du dich mal wieder selbst übertroffen«, »wie kriegst du das nur immer so hin?«, bis sich meine Großmutter endlich von meinem Großvater ab- und meinem Vater zuwandte.
    »Lass aber noch ein bisschen Platz für den Nachtisch«, sagte sie, hin und her gerissen zwischen Stolz und Kränkung, während sie ihm das letzte bisschen Braten auf den Teller schob.
    Arno strahlte. »Für deinen Nachtisch hab ich immer Platz.«
    »Ich wünschte, andere Mitglieder dieser Familie wüssten meine Mühe genauso zu schätzen«, sagte meine Großmutter und zog unter Aufwendung aller Gesichtsmuskeln die Schnute wieder in Form. Sie stapelte die leeren Teller auf die Platte, ging schnaubend in den Flur hinaus.
    Mein Großvater rollte die Augen. »Bist du dir sicher, dass du die als Schwiegermutter haben willst?«
    Aber mein Vater war nicht mal in der Lage, seine Freude auch nur einen Halbsatz lang spaßeshalber auszuknipsen: »Nichts würde mich glücklicher machen«, rief er und seufzte auch, aber natürlich andersrum, auf die Art, die circa zwei Oktaven höher ansetzt, eher AAAHHH , als aaahhh, während er den Arm, den er nicht zum Essen brauchte, unter den Tisch gleiten ließ. Seine Finger krochen über den Schoß meiner Mutter, zogen ihre Hand aus der Kuhle zwischen den Beinen und quetschten sie in seiner zusammen.
    Mein Großvater stopfte sich das letzte bisschen Rotkraut in den Mund. »Dann mal Butter bei de Fisch«, rief er, »von wie vielen Gästen sprechen wir?«
    »Keine

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