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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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eher: »Hast du gewählt?«, weil er meine arme, sprachlose, alleinessende Mutter bereits jetzt so in sein riesengroßes portugiesisches Herz geschlossen hat, dass ihm ein Sie zu distanziert wäre. Vielleicht auch: »Habe du gewählt?« oder: »Gewalt habe du?«, das lässt sich schwer sagen, denn was das Niveau seines Deutschs betrifft, war meine Mutter nicht sonderlich konsequent. Mal war es einwandfrei, mal kaum verständlich, mal ließ sie ihn zwei Sätze lang statt mit portugiesischem mit russischem Akzent sprechen, wie ein Stand-Up-Comedian, der seine Rollen durcheinanderbringt. Oder sie versuchte sich tatsächlich an einem portugiesischen Akzent, warf in ihrer Ungeduld dann aber so hektisch alle ihr geläufigen Phonetik- und Grammatikfehler durcheinander, dass sie irgendwo zwischen französischem Chansonnier und italienischem Mafiaboss aufschlug.
    In jedem Fall aber fragt Schnuckiputzi meine Mutter also nach ihrer Bestellung.
    Sie tippt irgendwo auf die Karte.
    »Iste essellente Wahl«, sagt Schnuckiputzi, »unde zue drinke?«
    Meine Mutter macht eine abwehrende Handbewegung.
    »Não!«, ruft er, »bei Schnuggibuudsi keina Mahn bleibe mit eina Durst nischt, bringhe dia unssere Hausewein!«
    Meine Mutter versucht so etwas wie ein Kopfschütteln, aber entweder sieht Schnuckiputzi es nicht, oder es ist ihm egal.
    »Essellente«, ruft er und holt eine Flasche von der Bar, neben der ein weiterer Kellner in einer weiteren schwarzen Hose und einer weiteren schwarzen Weste steht. Der aber auch nicht er ist.
    Er schenkt meiner Mutter ein, zieht die Flasche nach oben, während der Wein wie aus einem Springbrunnen in hohem Bogen in ihr Glas plätschert, wartet, bis sie nippt, unendlich langsam, aber diesmal zumindest wirklich nickt, wieder schnell zur Schwingtür blickt, während er ihr Glas ganz auffüllt.
    »Saúde«, sagt er. Er zieht die Laute in die Länge, knetet sie zwischen Gaumen und Zunge weich und sieht sie erwartungsvoll an. Erst als meine Mutter auch einen zweiten Schluck nimmt, ist er bereit, sie allein zu lassen, um nach ihrem Essen zu sehen.
    »Sehe nahe deina Esse«, sagt er und tätschelt ihr den Arm. Er stößt die Schwingtür auf, so ruckartig, dass es diesmal sogar für eine ganze Pfanne reicht, ein Stückchen Herd darunter, dann eine Kochmütze, кухня , noch mal die Fliesen.
    Die Augen meiner Mutter verweilen am Türrahmen. Warten auf ein weiteres Hin oder vielleicht auch ein Her.
    Streifen doch zur Bar.
    Um die Hocker herum.
    An der Gitarre vorbei, die an der Ecke steht, als habe sie dort jemand vergessen.
    Aber er ist nirgends zu sehen.
    Sie starrt in die Kerze in der Mitte des Tischs, die aufgeregt hin und her zuckt, obwohl, noch mal schnell zur Schwingtür gekuckt, nein, von nirgendwoher ein Luftzug zu spüren ist, sieht den Docht, über dem die Flamme völlig durchsichtig ist, langsam bläulich wird, dann gelb, leuchtendgelb, gleißendgelb, immer höher und schneller und nervöser auszuschlagen scheint, als wolle sie sich von der Kerze losreißen.
    Das Wachs türmt sich an den Rändern auf. Neigt sich immer mehr zur Seite. Ergießt sich endlich auf den Zeigefinger meiner Mutter, der blitzschnell an den Schaft fährt.
    Sie zieht die Hand zu sich heran, begutachtet die undurchdringlich weiße Perle, zu der der Tropfen auf ihrer Haut erkaltet.
    Lässt den Daumen über die glatte Oberfläche gleiten.
    Drückt den Nagel hinein.
    Schüttelt sich plötzlich, verwirrt, beschämt, was soll denn das?, kratzt ärgerlich den Dreck vom Finger und richtet sich auf.
    Sie schiebt sich eine Metallstange in den Rücken, macht sich steif, macht sich lang. So lang, dass ihr viel Zeit bleibt, dem Zittern ihrer Hand zuzusehen, bis das Glas endlich ihre Lippen erreicht.
    Sie nimmt wieder einen Schluck, und gleich noch einen, obwohl sie diesmal nicht mal jemand dazu auffordert. Schaut über den Rand hinweg zu den andern Gästen, den Familien, Freunden, Pärchen, die sich nicht um-, sondern einander anschauen, die niemanden suchen, sondern schon gefunden haben, die reden und lachen und sich anfassen. Sie sieht ihre Arme auf dem Tischtuch nebeneinanderliegen, sieht die Hände, die einander berühren, als sei es das Einfachste auf der Welt.
    Denkt plötzlich, dass sie auch so zusammen sein könnte, dass sie ihren Arm genauso neben den meines Vaters legen, seine Hand umfassen, ihn ansehen könnte, dass sie nicht hier sein muss, dass sie einfach nach Hause gehen könnte, dass sie nach Hause gehen sollte, jetzt, jetzt

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