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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Löffel  … wieder für den Alex.
    Am Nachbartisch hebt jemand die Hand, ruft irgendetwas.
    »Moment«, sagt er wieder und läuft auf die schimpfenden Gäste zu. »40 Minuten  … unerhört  … wir haben heute noch was anderes  … «, hört meine Mutter die Stimmen herüberschwappen. Sie betrachtet seinen Rücken, während er schweigend die Beschwerden über sich ergehen lässt, sieht seinen Hosenboden, dann plötzlich seine Augen, die über die Schulter huschen und sich gen Himmel drehen, ganz kurz, sodass nur sie es sehen kann, als sei sie seine Komplizin.
    Genau wie nach unserer ersten Nacht, denkt sie, auch wenn es natürlich nicht wirklich eine Nacht war, sondern höchstens ein paar Minuten, aber der andere Teil des Gedankens ist wichtiger, der, dass es ihre erste was-auch-immer war, der eine zweite folgte und womöglich eine dritte folgten wird, der Teil, der sie daran erinnert, dass sie bereits auf eine Vergangenheit zurückblicken und nicht mehr am Anfang stehen. Dass das nur das nächste Kapitel ihrer Geschichte ist.
    Er geht zur Schwingtür, stößt sie ein Stück weit auf. »Kuchnje, dawai!«, ruft er und macht einen Schritt nach vorne. Die Tür stößt an seine Hüfte, aber anstatt ganz hindurch zu gehen, dreht er sich wieder um und kommt zu ihr zurück.
    Meine Mutter lächelt. »Was wollten sie denn?«
    »Meckern.« Seine Zähne schieben sich unter seiner Oberlippe hervor. »Das wollt ihr Deutschen doch immer.« Er lacht leise, verdreht wieder die Augen. »Das Essen ist zu kalt. Das Essen ist zu heiß. Warum braucht das Essen so lange, schnell, schnell, wir müssen heute noch Polen überfallen.« Er lässt die Fersen aneinander knallen, presst die Ellenbogen an die Seite.
    Meine Mutter sieht, wie seine Oberlippe ganz nach oben springt, während er sich durchs Haar fährt, ja, tatsächlich, es sind keine Stoppeln mehr, sondern schon richtige Haare, die er sich von einer Seite zur anderen streicht, bevor er seine Hand plötzlich herauszieht und stattdessen auf ihren Rücken legt.
    »Nichts für ungut«, sagt er und lacht noch lauter.
    Meine Mutter senkt den Kopf. »Wie, äh, wie heißt das Gericht noch mal?«, fragt sie, um etwas zu sagen.
    »Cozido à portuguesa«, sagt er, »ist das portugiesische Nationalgericht.« Die Augen meiner Mutter fahren über seine Wangen, die jetzt perfekt glatt rasiert sind, folgen seinen Mundwinkeln, die sich ganz langsam zurück in die Waagerechte bewegen.
    »Ach wirklich?«, fragt sie.
    Seine Hand rutscht ein wenig nach unten, aber er nimmt sie auch nicht weg, warum nimmt er seine Hand nicht weg?, bitte nimm die Hand nicht weg!
    »Keine Ahnung«, sagt er, »wenn’s nach Schnuckiputzi geht, ist jedes Essen auf der Karte das portugiesische Nationalgericht.«
    »Nach wem?«, fragt meine Mutter und drückt die Wirbel nach hinten.
    Alex’ Oberlippe macht kehrt und klammert sich wieder an die Nase. »Nach dem Besitzer des Restaurants«, sagt er grinsend. »Irgendwann hat einer von uns angefangen, ihn Schnuckiputzi zu nennen. Weil er jeden Schnuckiputzi nennt, Männer, Frauen, Kinder, sogar sich selbst.« Er schenkt meiner Mutter nach, stellt die Flasche zurück auf den Tisch. »Er ist der einzige richtige Portugiese hier. Ist also niemand da, der es merken würde, wenn er Schmonzes erzählt.«
    Meine Mutter überlegt sich, noch mal nachzufragen, aber da schiebt er schon von alleine »wenn er Blödsinn erzählt, mein ich« hinterher und fasst sich an die Stirn.
    »Ah, ach so«, sagt sie. Nickt. Wartet darauf, dass er fortfährt. Aber stattdessen löst sich plötzlich sein Daumen von ihrem Rücken.
    »Ist ja witzig, dass er der einzige Portugiese hier ist«, ruft sie schnell.
    »Äh, ja.« Sein kleiner Finger zieht sich ebenfalls zurück. Der Stoff bleibt an ihrem Rücken kleben, während er seinen Körper zur Tür dreht.
    »Aus welchen Ländern kommen denn die andern?«
    Er zuckt die Schultern. »Alles Mögliche.«
    »Und äh, wie kommst du dazu, hier zu arbeiten?«
    Seine Zähne verschwinden wieder hinter den Lippen. »Irgendwo muss man ja arbeiten.«
    Sie nickt eifrig, macht sich noch runder, aber auch der Buckel kann nicht verhindern, dass die verbliebenen drei Finger einer nach dem andern von ihr abfallen.
    »Warst du schon mal in Portugal?«, fragt sie nervös.
    »Nein, noch nie.« Seine freigewordene Hand verschwindet in der Hosentasche, während sein Blick über sie hinweggleitet und sich in die gegenüberliegende Wand bohrt.
    Sie kramt in ihrem Kopf herum,

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