Fünf Kopeken
bringen könnte, ein Weilchen an ihrem Tisch zu verweilen.
Sie lässt die vergangenen Stunden an sich vorbeiziehen, sucht den Tag nach einer Geschichte ab. Aber natürlich findet sie nichts, wie sollte sie auch, sie macht ja nichts, außer an ihn zu denken.
Sie sieht zur Tür, hofft fast, dass sie noch geschlossen bleibt, dass es noch etwas länger dauert.
Bis sie merkt, dass es schon ganz schrecklich lange dauert, wie kann es denn nur so lange dauern, der Herr am Nachbartisch piekt schon die letzten Blättchen aus seinem Beilagensalat, aber noch immer kommt er nicht. Und mit einem Mal packt sie die Furcht, er könne womöglich gar nicht kommen. Was, wenn das nur eine Floskel war, bin gleich wieder da, was man halt so sagt, bis später, man sieht sich, auf Wiedersehen?
Sie setzt erneut das Glas an, schaut über die Köpfe hinweg, die sich über ihre Teller beugen, die Kinder, die unter einem der Tische herausschlüpfen, immer wieder zur Schwingtür, die völlig unbeweglich in ihrem Rahmen hängt.
Und dann ganz plötzlich doch auffliegt.
Das Schild knallt gegen die Wand. Aber statt seines stoppeligen Kopfes, hatte er überhaupt noch Stoppeln?, sie hat vergessen, darauf zu achten, warum hat sie denn nicht darauf geachtet?, statt seines Kopfes ist es Schnuckiputzis graue Mähne, die dahinter auftaucht.
Bitte komm nicht zu mir, denkt sie, bitte, bitte, bitte geh zu jemand anderem hin!
Aber natürlich kommt er direkt zu ihr, gönnt ihr nicht mal eine Sekunde des Zweifels, bevor er auf sie zustürmt und eine gusseiserne Pfanne vor ihr abstellt.
»Cozido à portuguesa«, sagt er und »lase dia schmege, Schnuggibuudsi!«
Sie wirft einen Blick auf das wild blubbernde Durcheinander, biegt wieder den Hals nach hinten. Aber statt der Tür sieht sie nur Dima, der breitbeinig neben der Bar steht und natürlich wieder lacht, laut und breit, sodass seine Augen zu winzigen Strichelchen werden, wie bei japanischen Zeichentrickfiguren, wenn sie sehr froh oder sehr traurig sind.
Sie legt die Hände um die Sitzfläche, spürt, wie ihr schwindelig wird, während die Enttäuschung die Luft aus ihrer Lunge quetscht. Nur ganz dumpf hört sie Schnuckiputzis Stimme, »hast du keine zu drinke, Schnuggibuudsi, hier, hop, hop, eine Vinho da casa auf die funf!«, hört die Schritte, die näher kommen. Den Wein, der in das Glas plätschert, das sie noch immer in der Hand hält. Der Stiel kippt zur Seite. Fast schwappt es auf ihr Bein, als sich plötzlich seine Finger um ihre seine Katzenaugen auf sie fährt zusammen heben sie das Glas an ihre Lippen berühren fast seine Haut riecht nach Zigarette.
»Saúde«, sagt er, aber aus seinem Mund klingt das Wort ganz anders als bei Schnuckiputzi, härter, abgehackt, eher, als erteile er einen Befehl: Sa! U! De!
Er lässt ihre Hand los. Der Arm meiner Mutter beginnt zu zittern, als könne sie das Glas ohne seine Hilfe nicht halten.
»Iss, bevor es kalt wird«, sagt er.
»Ich, äh …«, sie deutet auf die leere Stelle neben der Pfanne, in der es noch immer bedrohlich zischt.
»Ah, Moment.« Er lächelt entschuldigend, läuft zur Bar. »Bitteschön«, sagt er, während er wiederkommt, und schlägt eine Serviette vor ihr auseinander. Meine Mutter greift hinein, vorsichtig, als ziehe sie keine Gabel, sondern ein Diadem heraus.
Der Dampf schlägt ihr ins Gesicht, während sie sich über die Pfanne beugt und unsicher ein von einer dicken Fettschicht umrandetes Irgendwas anhebt.
»Was ist das?«, fragt sie, fragt ganz ehrlich, nicht nur um etwas zu sagen, sondern weil sie tatsächlich keine Ahnung hat, was da vor ihr liegt.
Sein Finger springt über der Pfanne hin und her. »Rind, Blutwurst , Schweinefüße, Kartoffeln, Kohl.« Er macht einen Schritt zur Seite. »Kuck doch nicht so!«, ruft er und lacht.
Meine Mutter fasst sich erschrocken ins Gesicht.
Wenn ihr Körper nicht mal dazu in der Lage ist, den Ekel vor ein paar Brocken Fleisch für sich zu behalten, welche Geheimnisse wird er ihm dann noch verraten, denkt sie.
Aber Alex fährt schon fort, »keine Sorge, wir essen das hier jeden Abend, du solltest echt probieren« zu sagen.
Er will, dass ich probiere. Er will, dass ich das Essen probiere, das er jeden Tag isst, denkt sie und schiebt sich einen Bissen in den Mund.
Es knirscht zwischen ihren Zähnen. Ein seltsamer Geschmack macht sich an ihrem Gaumen breit.
»Mmm, köstlich«, sagt sie.
Er kuckt zufrieden.
Sie sticht erneut in die Pfanne, einen Löffel für den Alex, einen
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