Fünf Kopeken
sofort.
Und bleibt doch sitzen.
Am Nebentisch kommt Bewegung auf, Köpfe fahren auseinander, Rücken drücken sich in die Lehne, machen einem weiteren Kellner Platz, der zack, zack, zack die Teller im Kreis herum auf den Tisch pfeffert, als gebe er ein Blatt Karten aus.
»Die Garnelen sind für mich«, sagt der Herr am Kopfende höflich und deutet über den Tisch.
Der Kellner tauscht zwei Teller aus, dreht sich zum Gehen.
Die Dame auf der andern Seite hebt ihr leeres Glas in die Luft. »Könnte ich vielleicht noch eine Apfelschorle haben?«
Der Kellner schaut über die Schulter. »Ich nix Bestellung, nur bringen«, brummt er und schlurft weiter zur Tür.
Schnuckiputzi kommt angerannt und hält ihn am Arm fest, zischt ihm etwas zu.
Der Kellner schüttelt die Hand ab, brummt wieder irgendwas. Seine winzigen Augen gleiten an meiner Mutter vorbei zu dem Tisch, von dem er gerade kommt, fahren zurück, werden noch kleiner, und dann erkennt sie ihn plötzlich, nein, nicht ihn, den andern, das eckige Gesicht und dann das Lachen, dieses schreckliche Lachen, von dem ihr sofort wieder die Röte in den Kopf schießt.
Schnuckiputzi stößt ihn beiseite, läuft auf die Dame zu.
»Apfelschorle, kommt sofort«, flötet er, »bom apetite!«, dreht sich um und greift wieder nach dem Arm des Kellners. Aber Dima, das war doch sein Name, oder?, ja, Dima schaut nur weiter zu meiner Mutter. Noch immer lachend hebt er seine riesige Hand in die Luft, ruft irgendetwas, was sie nicht versteht, und dann kommt er, also diesmal wirklich er, woher, weiß sie nicht, ist plötzlich einfach da, nur ein paar Meter von ihr entfernt, den Arm voller verschmierter Teller, und sieht sie an, sieht ihr direkt in die Augen, während sich ihr Magen um sich selbst wickelt, wie ein Waschlappen beim Auswringen.
Sie fährt sich über den Scheitel, versucht die Ameisen abzuschütteln, die mit einem Mal über ihren Hinterkopf rennen, ihre Haarwurzeln anfressen, in ihren Nacken krabbeln, als habe jemand ein Nest angestochen, streicht das Kleid glatt, das sie extra angezogen hat, auch wenn sie doch gar nicht gewusst haben will, dass sie hierherkommen würde?, fummelt an sich herum, stößt mit dem Ellenbogen gegen das Glas, die Tischkante, wirft endlich die Gabel zu Boden. Sie bückt sich, sieht die schwarzen Lederschuhe, die sich ihrem Kopf nähern, wie damals im Spätkauf, während sie an den Stuhlbeinen herumtastet, wieder nach oben fährt, in seine Hand blickt, die sich unter ihrer öffnet. Aber anstatt die Gabel hineinzulegen, schiebt sie sie vor lauter Verwirrung nur ein Stück über den Tisch, gerade so auf ihn zu, als müsse er sie schon selbst aufheben, wie eine Gutsherrin, die ihre Dienstboten aus Lust an deren Elend schikaniert.
»Wie geht’s?«, fragt er endlich, wie immer ganz ruhig.
»Gut«, haucht sie, »ich, äh, ich wollte was essen.«
»Da bist du hier richtig.« Alex lächelt, vielleicht wieder etwas spöttisch. Aber diesmal ist da auch etwas Weiches, etwas Wohlwollendes, fast so, als würde er sich freuen, sie zu sehen.
»Ah, nix gewusst, dass kenne du unssere Alexandre, Schnuggibuudsi«, ruft Schnuckiputzi. Er kommt näher, beginnt richtig zu strahlen, so glücklich scheint es ihn zu machen, dass meine Mutter doch nicht ganz mutterseelenallein auf der Welt ist.
Dima wiehert wieder los.
Schnuckiputzi runzelt die Stirn. »Was so lustig, dass du gans Seit lahe?«, fragt er und schaut von einem zum anderen, schüttelt den Kopf, stimmt dann aber schließlich doch in das Lachen ein, während er »dann bringhe deine Freundin mal ihra Esse. Brauhe Kraft heute Naht, was?« sagt und seine Hüften kreisen lässt.
Meine Mutter drückt das Glas an die Lippen, kippt den Wein hinunter, der in ihrem Mund zu kochen beginnt.
Alex lehnt sich nach vorne. Wie eine Prothese ragt der Arm mit den Tellern neben ihm zur Seite, während er endlich die Gabel aufhebt.
»Bin gleich wieder da«, sagt er und geht hinter Dima und Schnuckiputzi her in die Küche, oder vielleicht auch ihnen voraus, oder vielleicht gehen die beiden andern auch nirgendwo hin, die Freude, die meine Mutter mit einem Mal durchfährt, ist so überwältigend, dass sie jede andere Wahrnehmung verdrängt.
Er kommt wieder, denkt sie. Gleich. Gleich kommt er wieder!
Sie streicht sich erneut übers Kleid, versucht sich irgendetwas Kluges einfallen zu lassen, das sie sagen kann, wenn er zurückkommt, oder etwas Lustiges?, vielleicht eine Frage über das Essen, irgendetwas, das ihn dazu
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