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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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durchforstet das ganze, blöde, in 27 Jahren angehäufte Wissen nach einer weiteren Frage, irgendeiner Bemerkung über Portugal, die sie machen könnte, über Restaurants, über Essen, ihretwegen sogar über Schweinefüße.
    Aber zum Reden ist es zu spät.
    Und das Schweigen besorgt schon er.
    Stumpf starrt er geradeaus. Spielt an seiner Fliege herum. Sagt plötzlich: »Ist aber bestimmt schön da, am Strand.« Er bläst seine Oberlippe auf, schiebt die Luft von rechts nach links. »Ich vermisse das Meer.«
    »Ich auch«, ruft meine Mutter.
    »Bei uns zu Hause war ich den ganzen Sommer über am Wasser, bin mit meinen Freunden zu den Schiffen rausgeschwommen, hab bei den Docks geholfen.« Sein Kopf fällt zur Seite. »Früher war der Hafen von Odessa der wichtigste in der ganzen UdSSR , sogar die Tataren haben da schon gehandelt.«
    Meine Mutter reißt die Augen auf. »Mein Vater war bei den Tataren in Gefangenschaft!«
    Er dreht sich zu ihr. »Weißt du wo?«
    »In Kasan«, ruft sie triumphierend.
    Alex schüttelt den Kopf. »Das liegt bei den Wolgatataren. Bei uns waren die Krimtataren. Die haben nichts miteinander zu tun.« Er schaut über die Schulter zur Tür, während meine Mutter meinen Großvater verflucht. Hätte er sich denn nicht von den richtigen Tataren gefangennehmen lassen können? Es muss doch auch auf der Krim irgendwelche Lager gegeben haben, aber zu ihrer Überraschung sagt Alex: »Mein Onkel war auch in Gefangenschaft, bei den Deutschen.«
    »Wirklich?«, ruft meine Mutter, ganz begeistert von diesem Krieg, an dem sie beide sich festhalten können.
    »Ja«, fährt er fort, »aber nur ein, zwei Wochen. Dann haben sie alle Kommunisten und Juden erschossen.«
    »Wirklich?«, fragt sie wieder, wenn auch jetzt etwas weniger euphorisch, »was war er denn? Kommunist oder Jude?«
    »Beides«, sagt Alex.
    »Ah«, sagt meine Mutter, »heißt das, du bist auch, äh, du gehörst auch, also, zur jüdischen Bevölkerung?«
    Alex lacht wieder. »Ja, irgendwie schon. Zum Einwandern hat’s mal gereicht.«
    Meine Mutter sieht, wie er sich wieder zur Schwingtür dreht, überlegt sich schon, ihm die Geschichte von Mischa Sergewitsch, dem antisemitischen Menschenfreund, zu erzählen, als Schnuckiputzi angelaufen kommt.
    »Schnuggibuudsi, was mahen mit meina Kellner?« ruft er, »was sollhe Gaste denkhe, wenne ganse Seit quatsche?« Er macht ein Gesicht wie ein Großvater, also natürlich nicht wie mein Großvater, eher wie einer von diesen im Schaukelstuhl sitzenden, Münzen aus den Ohren ziehenden, Werthers Echte verteilenden Großvätern.
    »Dann nehme dein Freundin halt mit, dass muss nix esse ganse allein«, sagt er und schüttelt den Wuschelkopf über seine Gutmütigkeit.
    Meine Mutter schaut zu Alex, wartet gespannt auf eine Veränderung seiner Mimik, auf ein Zucken, ein Lächeln, ein Runzeln, irgendwas, das sie positiv oder negativ werten könnte.
    Aber er stellt nur die Pfanne auf seinen Unterarm, nimmt ihr Glas in die Hand, die Flasche unter den Arm, dreht sich nicht um, während meine Mutter unsicher aufsteht und, die Gabel in der schweißnassen Faust wie ein Kind einen Lutscher, hinter ihm hergeht. Erst als die Schwingtür hinter ihr zufällt, greift er plötzlich nach ihrem Arm und beugt sich zu ihr.
    »Sag ihnen nicht, dass du verheiratet bist, ja?«, flüstert er.
    Im Hintergrund hört man Geschirrklappern, sie hat Mühe, ihn überhaupt zu verstehen.
    »Wem nicht sagen?«, fragt sie verwirrt.
    »Den andern.« Er stopft sein Hemd in die Hose, schiebt den Gürtel in den Schlaufen herum.
    »Klar«, sagt meine Mutter und nickt. Wartet darauf, dass er weitergeht. Aber stattdessen lässt er den Kopf nur noch tiefer sinken.
    »Wieso denn nicht?«, fragt sie endlich.
    Er schaut auf, das heißt, eigentlich schaut er natürlich noch immer zu ihr herab, aber tatsächlich fühlt es sich so an, als sei sie auf einmal die größere von beiden, während er den Mund öffnet, nach Worten sucht. »Nur so«, sagt er schließlich, »das brauchen die einfach nicht zu wissen.«
    »Klar«, sagt meine Mutter wieder, auch wenn es ihr schwerfällt, ihre Freude über seine ungewohnte Verlegenheit zu verbergen.
    Der Geruch gebratener Zwiebeln steigt ihr in die Nase, während sie ihm in die Küche folgt, an den Metalltischen entlanggeht, die genauso aussehen wie die, an denen sie in der Uni sezieren.
    »Look what the cat dragged in«, hört sie jemanden rufen.
    Sie sieht eine Kochmütze zwischen den Regalen aufblitzen, das schwarze

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